: Toxischer Verein
In dieser Woche begannen die Betriebsratswahlen bundesweit. Das Zentrum Automobil, die winzige rechte Pseudo-Gewerkschaft aus Stuttgart, mischt dabei mit.
Von Anna Hunger↓
Die Leute von Zentrum Automobil (ZA), alles gestandene Männer, sind arm dran. „Unser Land ist zutiefst gespalten“, sagt da einer in einem aktuellen Video zu den beginnenden Betriebsratswahlen mit Grabesstimme. „Andersdenkende werden gesellschaftlich isoliert und an den Rand gedrängt. Ob Demonstrationen für Grundrechte, alternative Parteien, alternative Medien oder alternative Arbeitnehmervertretungen, alles, was nicht Mainstream ist, wird markiert und bekämpft.“ Dabei haben „QuerdenkerInnen“ die vergangenen zwei Jahre den Diskurs beherrscht, die AfD und die „alternativen Medien“ tun das noch länger und das ZA ist kein „alternativer“ Club, sondern einer, der von radikalen Rechten und deren Umfeld betrieben wird.
Gegründet hat das ZA im Jahr 2009 Oliver Hilburger, Maschinenschlosser bei Daimler Untertürkheim und früherer Rechtsrocker. Seitdem stänkert es in der Produktion einiger deutscher Autobauer-Werke. Von etwa 180.000 Sitzen in deutschen Betriebsräten kommt es bisher nur auf sehr wenige. 2014 stellte der Verein in Untertürkheim vier Betriebsräte. 2018 sechs, drei bei Daimler Rastatt, zwei in Sindelfingen, zwei bei Porsche und vier bei BMW in Leipzig, zwei bei Siemens Görlitz, einen bei Opel in Rüsselsheim, zwei beim Motorsägenhersteller Stihl. Das Zentrum jubilierte ob der Steigerung, dabei stellt es derzeit gerade mal 0,1 Promille der Vertreter in Deutschland, schrieb die „Waiblinger Kreiszeitung“ mal. „Solche Verhältnisse kennt man sonst eher aus der homöopathischen Verdünnungsmedizin.“
Die Zentrum-Mitglieder präsentieren sich als Kollegen, die den Finger in die Wunde legen. Aber ihre Themen zielen emotional direkt aufs Rückenmark. In einer Zeit der Unsicherheit durch die Verkehrswende im Autobauer-Spektrum, in einer Pandemie setzen Emotionen an der Angst an. Das ist nicht zu unterschätzen.
Das ZA stellt sich als Verein für alle Beschäftigten dar. Aber in dem Abgrund, in dem es sich tummelt, schwimmt alles herum, mit dem ein demokratischer Geist nichts zu tun haben will.
Stimmung statt Mitbestimmung
Das vor Kurzem vom Verfassungsschutz als „gesichert extremistisch“ eingestufte „Compact“-Magazin um Jürgen Elsässer ist so etwas wie das Hochglanz-Presse-Organ des ZA. Im November 2017 hatte Hilburger mit Simon Kaupert, Filmemacher des rechtsradikalen Kampagnen-Vereins „Ein Prozent“ auf der „Compact“-Konferenz in Leipzig das Vorhaben für 2018 vorgestellt: „Werde Betriebsrat“. Der Plan: Die AfD sollte ihren Arm in die Betriebe ausstrecken. ZA-Chef Hilburger sprach, Björn Höcke, dann Kaupert. „Jeder von uns kennt jemanden, der seine Arbeitsstelle aus politischen Gründen verloren hat“, behauptete der. Dann kommt der Film, der später im Netz verbreitet wird. Es geht um Peter Müller, Maschinenführer, „die Politik der Regierung findet er verantwortungslos“ und „deswegen geht er jeden Montag zu Pegida“. Und wird „von einer Minute auf die andere vor die Tür gesetzt“. Das war der bis dahin größte Aufschlag des ZA.
Anfang 2019, bei den Protesten gegen das Diesel-Verbot in Stuttgart, ist es präsent, im Sommer 2019 startet es seine Kampagne „Der Vertrauensmann“. Dem vorausgegangen war ein Prozess am Arbeitsgericht Stuttgart. Zwei Daimler-Beschäftigte hatten einem türkischstämmigen Kollegen und IG Metaller über Monate per WhatsApp Hitlerbilder, Hakenkreuze und Verächtlichmachendes über Muslime gesendet. Der Konzern hatte beiden 2018 gekündigt, das Gericht gab Daimler Recht. Den Film aber haben auf YouTube mehr als 100.000 Leute angeklickt. Hans Jaus, Listenplatz 3 der ZA-Liste zur Betriebsratswahl 2018, spricht da von „mafiösen Strukturen“ innerhalb der IG Metall. „Ich weiß aber nicht, ob ich das sagen darf oder ob ich mich dann schon wieder strafbar mache.“ Jaus war Bundesschatzmeister der mittlerweile verbotenen Neonazi-Organisation „Wiking Jugend“.
Der Film sorgte im Werk derart für Diskussionen, dass Daimler Stellung beziehen musste: „Zahlreiche Behauptungen im Film stellen die Tatsachen verzerrt dar. Einige sind schlichtweg unwahr. Im Film kommt es aus Unternehmenssicht zu einer äußerst bedenklichen Verzerrung der Wahrnehmung zwischen Opfern und Tätern.“ Daimler-Chef Ola Källenius sagte, Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz hätten im Konzern keinen Platz. Wer die Truppe um Hilburger noch nicht kannte, kannte sie jetzt. Dann kam Corona.
In der vergangenen Zeit hat das Zentrum zwei Felder mit voller Kraft besetzt, die polarisierender nicht sein könnten. Das eine war der Überfall von Antifas auf drei ZA-Mitglieder, der vor einiger Zeit vor Gericht verhandelt wurde. Mit einer breit angelegten Kampagne versuchte die Pseudo-Gewerkschaft und ihr Umfeld, der IG Metall die Schuld, ja den Auftrag für die Tat in die Schuhe zu schieben.
Das andere Thema: Vor Kurzem hat das ZA gemeinsam mit anderen Gruppierungen ein Impfstreik-Bündnis aus der Taufe gehoben, eine Art Generalstreik gegen das Impfen, mit dem auch, so eine der Ideen, kritische Infrastruktur wie Stromkraftwerke lahmgelegt werden sollten – mit dabei wieder „Compact“, der „Demokratische Widerstand“, der aus den Corona-Protesten entstanden ist, die rechtsradikalen „PI-News“ und die Freien Sachsen, eine radikale Winz-Partei, entstanden ebenfalls in der Pandemie. Auch das, hört man, sei für das Zentrum eher kein Bringer gewesen.
Die sind selbst der AfD zu rechts
Kläger im Antifa-Prozess war unter anderem Andreas Ziegler, bis vor kurzem AfD-Mitglied. Dann hat die Partei ihm die Mitgliedschaft gekündigt und das ZA auf die Unvereinbarkeitsliste gesetzt. Zu viele extreme Rechte im Umfeld, die sich öffentlich zeigen.
Das gab in der dauerverkrachten AfD Knatsch. Vor allem Dirk Spaniel wehrte sich dagegen, früher Daimler-Manager und verkehrspolitischer Sprecher der Bundes-AfD, der dem AfD-Bundesvorstand wegen seiner guten Kontakte zum ZA und damit zu rechtsradikalen Gruppen schon lange ein Dorn im Auge ist. Zu nah rückt da der Verfassungsschutz an die eigenen Reihen heran.
Gerne zu Gast in ZA-Videos ist auch Christina Baum, die dem offiziell aufgelösten Flügel um Björn Höcke angehörte und zur Bundestagswahl aus dem Landtag von Baden-Württemberg in den Bundestag gewählt wurde. Der Unvereinbarkeitsbeschluss sei ein „No-go“ und zeuge „von unglaublicher politischer Arroganz“. Der AfD-Vorstand selbst begründete, so steht es im Protokoll der betreffenden Konferenz: „Nahezu der komplette Vorstand des Zentrum Automobil e. V. (…) besteht aus Personen, die sich in der Vergangenheit rechtsextremistisch oder neonazistisch betätigt haben sollen.“ Und: „Die AfD in Baden-Württemberg droht von Mitgliedern des Zentrum Automobils e. V. unterwandert zu werden.“ Vorfeldorganisationen seien nötig, das ZA aber sei „toxisch“.
Aber das ZA hat mit den Freien Sachsen einen neuen Partner gefunden. Die Freien Sachsen: bekannt geworden, als eine Gruppe vor dem Haus der sächsischen Gesundheitsministerin aufmarschierte, wird seit einiger Zeit vom Verfassungsschutz beobachtet. Ein Video vom November 2021 zeigt den ZAler Hans Jaus im Gespräch mit Martin Kohlmann, dem Vorsitzenden der Freien Sachsen. „Unter uns eher patriotisch eingestellten Leuten ist ja das Zweitunbeliebteste nach den Parteien wahrscheinlich die Gewerkschaft“, sagt Kohlmann. Inhaltlich bietet das Video wenig, außer Stimmung gegen die IG Metall, der selbst Jaus ihre Bedeutung und Verdienste, beispielsweise um die 35-Stunden-Woche, nicht absprechen kann.
Die IG Metall äußert sich ungern zum Thema, um den Verein nicht größer zu machen als er ist. Fragt man Leute bei Daimler, berichten sie, dass sich das ZA schon mal für einen freien Tag für den Kollegen einsetze. „Die geben sich als die Kümmerer. Und tun so, als würden sie genauso viel hinbekommen wie die IG Metall. Das stimmt nicht, sie scheitern an der Umsetzung.“ Sich einsetzen für Sachthemen tue keiner von ihnen. Auch an anderen Standorten hat man die Erfahrung gemacht, dass ZA-Leute im Betriebsrat vor allem Blockadepolitik betrieben. Es gilt: Alles wird gut, sobald die vermeintlich korrupte IG Metall in die Ecke gedrängt ist.
Auch VW in Zwickau hat einen ZA-Vertreter, momentan tritt er mit fünf weiteren Kandidaten, zwei davon AfD-Funktionäre, als „Bündnis freier Betriebsräte“ an. Der Unvereinbarkeitsbeschluss der AfD: für die Tonne. Und bisher ist Hilburgers „Mann in Zwickau“ dort auch nicht wirklich in Erscheinung getreten. Thomas Knabel, erster Bevollmächtigter der IG Metall Zwickau sagt: „Das Zentrum zielt ausschließlich darauf ab, die Belegschaft und die IG Metall zu spalten. Sie sind keine anerkannte Gewerkschaft und bringen auch keinerlei Lösungen mit.“
Die Mitglieder würden weniger die Interessen von ArbeitnehmerInnen vertreten, meint der Extremismusforscher Matthias Quent, „sondern vielmehr von rechtsradikalen Netzwerken im Hintergrund“. Das ZA sei ein „symbolisch wichtiges Vorzeigeprojekt der radikalen Rechten“. Und damit wird er Recht haben. Wie sehr das ZA über die Corona-Zeit verfangen hat, wird sich nach den Betriebsratswahlen zeigen. Denn auch in Betrieben arbeitet nur ein Querschnitt der Gesellschaft.
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