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Innehalten auf rotem Linoleumboden

Wenn der ganze Raum mit der Kunst im Dialog ist: Annabell Häfners Ausstellung „Nicht-Orte“ in der Galerie im Tempelhof Museum

Von Nora Rauschenbach

Der französische Anthropologe und Ethnologe Marc Augé hat mit seinem 1992 erschienenen Buch „Non-lieux“ den Begriff der Nicht-Orte geprägt. Er versteht darunter Orte, denen es an Identität, Relation und Geschichte mangelt – Transit-Räume, wie Flughäfen oder Hotelketten.

Die 1993 in Bonn geborene Künstlerin Annabell Häfner nennt ihre Ausstellung „Nicht-Orte“, doch fasst sie diesen Begriff anders auf: In ihren Bildern (noch bis zum 27. März in der Galerie im Tempelhof-Museum zu sehen) geht es zwar auch um Transit-Räume, diese entwickeln jedoch eine Bedeutung und Identität aus dem Gefühl heraus, das ei­ne*n umgibt, wenn man an einem solchen Ort ist. Dafür arbeitet sie mit kräftigen, bunten Farben, die die Intensität der Gefühle verkörpern sollen.

Für Häfner haben solche Transit-Orte viel mit Einsamkeit zu tun. Einsamkeit ist hier jedoch keinesfalls negativ zu verstehen, sondern im Gegenteil als eine Art Entschleunigung von der hektischen, modernen Welt: „Ich glaube, so ein Nicht-Ort kann auch sein, wenn man ne halbe Stunde mit der Bahn fährt oder bei der Post wartet, also immer dann, wenn man innehalten muss, während man von der einen Sache zur anderen geht oder auf etwas wartet“, sagt Häfner im Gespräch. Ihre Kuratorin Julia Kochanek bezeichnet den Transit als eine „Leerstelle, die den Platz bietet, um die eigenen Gefühle zu empfinden“, was sonst im normalen Arbeitsalltag nicht möglich sei.

Der Raum, in dem Häfners Bilder hängen, hat einen roten Linoleumboden. Sonst ist dort nichts, was hervorstechen würde. Er ist leer und es hallt, wenn man spricht. Das alles haben sich die Künstlerin und die Kuratorin zunutze gemacht und stellten etwa eine zerbrechliche Holzbank hinein. Außerdem wurde eine Ecke des Raums mit Straßenkreide bemalt, um der Ästhetik der Bilder zu entsprechen. Diese malt Häfner nämlich mit Acrylfarbe und mit Kreide. Die Anordnung der Elemente im Raum, sowohl die der Bilder als auch die der anderen Komponenten wie der Bank, lassen ei­ne*n noch mehr eintauchen in die Kunstwerke, nicht zuletzt wegen der Farbe des Bodens. Kochanek erklärt, dass es sonst immer etwas schwierig sei, in dem Museum Ausstellungen zu kuratieren, ohne dass der Boden sich in den Vordergrund stelle. Bei Häfners Bilderreihe sei dies allerdings nicht der Fall.

Das stimmt. Eher bekommt man den Eindruck, die Grenzen zwischen den Bildern und ihrer Umgebung würden verschwimmen. Zudem gibt der leere Raum den Be­trach­te­r*in­nen die Möglichkeit, ihre eigenen Emotionen auf die Bilder zu projizieren. Je nachdem, wie es ei­ne*m gerade geht, können die Bilder ganz unterschiedlich wirken. Eines ist jedoch klar: Wir haben es mit einer sehr gelungenen Neuinterpretation des ursprünglichen Konzepts von Nicht-Orten zu tun.

Häfner deutet in ihren Gemälden Raumstrukturen an. Mal findet man dort eine Bank, einen Stuhl oder einen Tisch, mal nichts dergleichen, doch nie ist eindeutig festzumachen, um welche Art von Raum es sich handeln könnte. Das sei laut der Künstlerin nicht relevant: „Ich glaube, das spielt keine große Rolle, und ich glaube, da kann auch jeder zu assoziieren, was er möchte. Es geht nicht um den bestimmten Ort, sondern es ist mehr eine Erinnerung an ein Gefühl“, so Häfner.

Die Bilder, die aus den Erinnerungen der Künstlerin an ihre Gefühle entstanden sind, können überzeugen. Die Komposition der verschiedenen Farben – von warmen Farben wie Gelb oder Rot bis hin zu kühleren wie Blau oder Grün – sprechen für ein Gefühl von Freiheit, das Häfner an diesen Orten empfindet, und lassen ihre Bilder erst richtig aufleben.

Galerie im Museum Tempelhof, Mo.– Do. 10–18 Uhr, Fr. 10–14 Ur, So. 11–15 Uhr, bis 27. März

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