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Im Luxussegment wieder modern

Der Berliner Architekt Jan Herres untersucht in einem Buch die wechselnden Nutzungen des „Berliner Zimmers“

Von Martin Conrads

Lange fristete es ein Schattendasein unter den Angeboten auf dem Wohnungsmarkt: Das „Berliner Zimmer“. Bei der Suche nach einem WG-Zimmer gilt: Wenn ein „Schönes möbliertes Berliner Zimmer mit Parkett und hohen Decken“ annociert wird, dann, Hände weg! Denn nicht selten deutet dies auf ein „Berliner Zimmer“ hin, das durch bis zu drei Türen mit anderen Räumen einer Wohnung verbunden ist und sich so wunderbar etwa als Durchgangszimmer eignet, aber eben nur sehr bedingt als eigenständiges Zimmer einer WG.

Die Geschichte des Berliner Zimmers, jenes für viele große Berliner Altbauwohnungen typischen Verbindungsraumes zwischen dem Vorderhaus und dem Bereich im Seitenflügel, auch als Teil der Geschichte von Berliner WGs zu sehen, ist dabei architekturhistorisch relevanter als es zunächst scheinen mag. Dies zumindest ist eine jener zahlreichen Erkenntnisse, die sich aus einer neu erschienenen Studie gewinnen lassen: In einer aus seiner Masterarbeit an der TU Berlin hervorgegangenen Buchveröffentlichung beschreibt der Berliner Architekt Jan Herres, wie sich die Gebrauchsweisen des Berliner Zimmers, jener vor rund 200 Jahren mit Beginn der Hinterhausbebauung im Zeichen damaliger urbaner Verdichtung in Berlin erfundenen architektonischen Eigenheit, über die Jahrhunderte änderten.

Als noch Dienstboten im Seitenflügel wohnten

Entworfen wurde das Berliner Zimmer als Scharnier einer Wohnung, in dem das im Seitenflügel wohnende und kochende Personal dem vor allem im Vorderhaus wohnenden Bürgertum Essen auftischte, ohne dabei in allzu großen gegenseitigen Kontakt geraten zu können. Mit dem vorläufigen architektonischen Abschied vom Berliner Mietshaus dieses Typs, das als Feindbild der modernen Architektur spätestens um 1930 galt, geriet es ins Kreuzfeuer damaligen Verständnisses eines funktionalistisch vorgeplanten Wohnens, das auch zumeist kein Wohnungspersonal mehr vorsah. Nicht zuletzt aufgrund der Weltwirtschaftskrise wurde zudem das nun überkommene Prinzip der großbürgerlichen Wohnung als „geschrumpfter Palast“ aufgegeben, oft zugunsten von Konzepten der Verkleinerung dieser meist gründerzeitlichen Wohnungen und den damit einhergehenden Nutzungsänderungen.

Die Berliner Zimmer blieben in den Altbauten, ihre architektonisch zugewiesenen Aufgaben entfielen aber weitestgehend, sodass das von Herres ausgemachte, dem Berliner Zimmer innewohnende Potenzial der „ge­planten Unbestimmtheit“ erst wieder mit jener gesellschaftlichen Ausdifferenzierung auf den Plan trat, die auch Wohngemeinschaften denkbar machte.

Das ab den 1980er Jahren gedachte Prinzip der „Polyvalenz“, das nun auch Mehrfachnutzungen von Räumlichkeiten als wünschenswert ausmachte, traf sich mit der auch unter dem Schlagwort der „kritischen Rekonstruktion“ agierenden IBA 1987 in Westberlin und brachte so auch wieder den Neubau von Wohnungen mit nun modifizierten Varianten von Berliner Zimmern hervor.

Herres, der als Referent und Projektleiter in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung arbeitet, fügt seiner teils „szenografischen“, also auch die Wege der Nut­ze­r*in­nen von Berliner Zimmern innerhalb einer Wohnung aufgreifenden Untersuchung, Dutzende Fotos aktueller Berliner Zimmer sowie Aussagen von deren Be­woh­ne­r*in­nen bei, in denen sie über deren Nutzungen erzählen. Auch dabei ist festzustellen, dass sich das traditionelle Berliner Mietshaus derzeit wieder einer großen Beliebtheit zu erfreuen scheint – „der rasante Anstieg der Kauf­ und Mietpreise in diesem Segment bildet dies ökonomisch ab“. Und so freut man sich derzeit unter Verweis auf eine Rezension zu Herres’ Buch – etwa auf der Website einer Berliner Immobilienfirma – darüber, dass das Berliner Zimmer „gerade im Luxussegment wieder ganz modern“ sei.

Jan Herres: Das Berliner Zimmer. Geschichte, Typologie, Nutzungsaneignung. Jovis, 2022, 29 Euro

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