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Eine wehmütige Klage

Ein Abend über das Sterben und das Altern: „Brief & Beauty“ von Milo Rau gastierte im Mousonturm Frankfurt. Im dem zweiten Teil einer „Trilogie des Privatlebens“ wird das Biografische zum Teil des Theaters

Von Shirin Sojitrawalla

Zu Anfang spricht die alte Frau mit den gut gelaunten Augen vom Sterben als der einsamsten Arbeit überhaupt. Am Ende dürfen wir ihr dann beim Sterben im Kreis ihrer Liebsten zusehen. Lange schon hat sie sich dazu entschlossen, ihren Tod selbst zu gestalten. Das Video ihres Sterbens, das einem langsamen Hinübergleiten gleicht, ist Kernstück der neuen Arbeit des Schweizer Theatermachers und Intendanten des Niederländischen Theaters NTGent, Milo Rau. Im September letzten Jahres kam es dort heraus, jetzt ist es als deutschsprachige Erstaufführung am Frankfurter Mousonturm zu Gast.

Die alte Frau, die darin Sterbehilfe in Anspruch nimmt und selbstbestimmt aus ihrem Leben geht, heißt Johanna B.. Bevor sie die Augen für immer schließt, sagt sie den Menschen ringsherum: „Ihr dürft traurig sein, aber bitte kein Drama!“ Milo Rau nimmt sich das zu Herzen. „Grief & Beauty“ nennt er sein Stück, das genau dies zum Thema macht: Trauer & Schönheit.

Es handelt sich um den zweiten Teil seiner „Trilogie des Privatlebens“. Im ersten erzählte er vom kollektiven Selbstmord einer „Familie“. Ihren Alltag und ihr Sterben präsentierte er in Form von Reality-Theater. Ganz ähnlich geht er in „Grief & Beauty“ vor. Wieder besteht die Bühne aus drei Zimmern: Küche, Bad, Schlaf- und Wohnraum. Darüber eine Leinwand, auf der die Ensemblemitglieder in Nahaufnahme erscheinen und später die Sterbeszene von Johanna B. Rechts zwei Schauspielerinnen und zwei Schauspieler auf unauffälligen Stühlen, dahinter Moritz von Dungern mit Live-Kamera.

Nacheinander erzählen sie aus ihrem Leben, wie sie zum Theater kamen, welche Schicksalsschläge sie erlitten und wo sie Schönheit fanden. Der belgische Schauspieler Arne De Tremerie erzählt von seinem ersten Auftritt in „Der kleine Prinz“ und sieht dabei ein bisschen noch so aus, mit seinen zackig nach oben stehenden Haaren. Später tritt Anne Deylgat nach vorne, sie kam als Hundesitterin bei der Produktion „Familie“ ans NTGent und erzählt von ihrer Liebe zu jungen Männern und von einer tragischen Trennung. Unbeholfen steht sie da, rudert mit den Armen und sortiert das eingespielte Vogelgezwitscher: Rohrdrommel, Bienen-Eater, Teichrohrsänger.

Die 1996 in Sierra Leone geborene Princess Isatu Hassan Bangura indes berichtet vom Heimweh, das auch Fernweh sein kann, und von der Migration als kleinem Tod. Gustaaf Smans schließlich wurde 1949 als ältestes von sieben Geschwistern geboren. Er gibt im Stück den sterbenden Mann, liegt in einem klapprigen Pflegebett, lässt sich zur Dusche bugsieren und waschen und schlussendlich beim Sterben begleiten. Oft liegt er nur im Bett, der Fernseher läuft, während andere staubsaugen, Kaffee kochen und Alltag spielen. Die Dinge des Lebens.

Am linken Rand hat die Musikerin Clémence Clarysse Platz genommen, die Cello mit Elektronik spielt, etwa Didos Klage von Henry Purcell „Wenn ich in der Erde liege“. Auch die Lebensende-Schnulze „My way“ von Frank Sinatra erklingt an diesem Abend. Und weitere Trauermusik, wie das gemeinsame Heulen einsamer Wölfe, das die Schau­spie­le­r:in­nen anstimmen. Ein gleichzeitig peinlicher und bewegender Moment. Wie das Stück überhaupt mit seiner Durchlässigkeit für Emotionales und Erhabenes kokettiert.

Ging es in „Familie“ noch sehr dokumentarisch zur Sache, gleicht „Grief & Beauty“ einer wehmütigen Klage, einer Elegie also. Kontrapunkte setzen Alltag und Altwerden. Das ist oft nicht aufregender als ein durchschnittlicher Dienstag in Deutschland.

Und doch gelingt es Milo Rau immer wieder, das Menschliche und Schöne aus dem Banalen zu schöpfen. Der für seine Tabubrüche bekannte Regisseur erweist sich auch diesmal als Chronist, Humanist und Zeremonienmeister großer Gefühle.

Am Ende steht die Kinderfrage im Raum, wohin wir gehen, wenn wir sterben, so wie das ewige Licht im hoch über der Bühne schwebenden Rauch leuchtet. Zwischen schwarzen Löchern, Seelenschmerz und Saint-Exupéry lösen sich alle Zweifel und Fragen in Luft auf. Dabei gibt die Konkretheit des Sterbens von Johanna B. die schönste Antwort. Doch so traurig möchte Milo Rau es nicht enden lassen. Betont heiter wagt Gustaaf Smans ein Tänzchen, erinnert sich ans erste Verliebtsein und die Musik dazu. Er tanzt weniger als dass er tapsige Schritte macht. Ein alter Mann, ausgestellt wie ein Tanzbär. Rührend sentimental.

So gleicht der Abend einer leisen Feier des Lebens und einem Requiem für Johanna B. Deren Sterben freilich erscheint am Tag, als in der Ukraine der Krieg beginnt, noch privilegierter als ohnehin.

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