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Der bekleidete Körper als Medium

Wie Mode und Kunst sich bedingen, untersucht die Ausstellung „Modebilder – Kunstkleider“ in der Berlinischen Galerie

F. C. Gundlach, Berliner Mode, fotografiert auf dem Dach des RCA Building, New York 1958 Foto: Stiftung F. C. Gundlach, Hamburg, Repro: Anja Elisabeth Witte

Von Jenni Zylka

Wenn auf einem Gemälde jemand in einer besonderen Robe zu sehen ist – ist die Robe dann Teil des Kunstwerks? Wenn ein:e Künst­le­r:in ein Kleid selbst herstellt, es designt, zurechtschneidet, gar näht – ist das Kleid dann ein Kunstwerk? Und was ist mit der Auswahl eines Outfits – kann man sie als künstlerische Aktion verstehen, wenn sie von einem oder einer Künst­le­r:in getroffen wird?

Wie Mode und Kunst sich bedingen, diesem Thema versucht die Ausstellung „Modebilder – Kunstkleider“ in der Berlinischen Galerie nachzugehen. Die Titel-­Komposita deuten das Spannungsfeld der Ausstellung an. „Mode in und aus Bildern, Künstlerinnen und Künstler tragen Mode, Mode als Medium in der zeitgenössischen Kunst“, beschreibt die Kuratorin Dr. Annelie Lütgens die drei Themenbereiche, in die rund 270 Exponate aufgeteilt sind. Sie nennt es einen „Dialog aus Kleidern und Bildern“: Beide, Mode und Kunst, dienen schließlich der Kommunikation.

Das Spiel mit Camp und die Aufhebung von Geschlechterbinarität zieht sich durch die West-Berliner Subkultur dieser Zeit

Das von der Sängerin und Designerin Anna Muthesius im Jahr 1903 kreierte „Eigenkleid“, ein – wie viele Fotos und das prachtvoll nachgeschneiderte Ausstellungsexemplar aus bordeauxroter Seide zeigen – voluminöses, aber bequemes „Reformkleidungsstück“, ist somit nicht nur eine politische, sondern auch eine künstlerische Aussage. Das Eigenkleid sollte helfen, Frauen aus den im doppelten Wortsinn engen Korsetts des 19. Jahrhunderts und den damit verbundenen Einschränkungen zu befreien. Wie genau es geschnitten ist, der in viele Falten gelegte lange Rock, die mit Netzstoff nur zart bedeckten Schultern, die opulenten Puffärmel, ist dagegen eine kreative Entscheidung. Im Original war es übrigens grün – die Berlinische Galerie hatte sich mithilfe einer Designerin auf schwarz-weiße Fotos als Vorlage gestützt, erzählt die Kuratorin, ein Farbfoto bekam man erst später in die Hände. Doch die Farbwahl lässt sich problemlos als künstlerische Freiheit deuten.

Die wenigen textilen Ausstellungsstücke wurden genau wie die vielen Bilder, Fotoarbeiten, Videos und performativen Werke fast ausschließlich aus dem Sammlungsbestand zusammenkuratiert. Das gibt der Show einen klaren und nachvollziehbaren Rahmen: Es geht um mehr als um das eindeutig „tragbare Kunstwerk“, wie es etwa die Prints von Dries van Noten, Yves Saint Laurents Mondrian-Kleider oder Andy Warhols „Souper Dress“ thematisierten. Stattdessen sucht man in der Ausstellung mit frisch sensibilisiertem Auge die Mode in der Kunst und umgekehrt. So wirkt das 1931 entstandene Gemälde „Dame mit roter Baskenmütze“ von Lotte Laserstein nicht mehr nur als frühfeministisches Porträt der Neuen Sachlichkeit, sondern auch unter modischen Aspekten: Wie großartig die Baskenmütze zum Kleid passt, wie elegant die Bluse den Schwung unterbricht, und wie toll, dass der Lippenstift die gleiche Farbe hat!

In einem Raum hängen vor allem Männerbilder – Dandys und Dadaisten, Bilder von Jeanne Mammen und George Grosz, Männerfotos von Herbert Tobias aus den 50ern und immer wieder der modeaffine und -bewusste Raoul Hausmann. Die oft in seinen Performances zur Geltung kommende weite „Patenthose“, auch „Oxfordhose“, die zunächst als subversives Element von britischen Studenten, später auf der Tanzfläche von Northern Soul Clubs getragen wurde, hat die Künstlerin Alexandra Hopf zu einem mobilen Werk inspiriert: Sie hat die weiße Hose mit Farbe bespritzt und sie auf ein Drehpodest gestellt, dessen Sensoren bei Annäherung eine Sequenz aus Musik, Bewegung und flackerndem UV-Licht auslösen. So scheint die Hose (beziehungsweise Hausmanns Unterleib) autonom loszuschwofen. Auf einem von August Sander 1929 geschossenen Foto daneben trägt Hausmann sie zum nackten Oberkörper, und biegt sich in genderfluider Pose – ein „origineller Grotesktanz“, befand damals eine Zeitung.

Raoul Hausmann, Hemden sind weit und blusenartig, um 1924 Foto: Berlinische Galerie/VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Repro: Anja Elisabeth Witte

„Echte“ Modefotos etwa von F. C. Gundlach, Zeichnungen von Gerd Hartung, Bilder von Helmut Newton weisen langsam in einen Bereich, der der Queerness in Mode und Kunst gewidmet ist: Auf einem Foto von Rolf von Bergmann aus den 70er Jahren aalt der Fotograf sich in Drag und Strapsen auf einem Pelzmantel – das Spiel mit Camp und die Aufhebung von Geschlechterbinarität zieht sich durch die West-Berliner Subkultur dieser Zeit. Bilder von Sibylle Bergemann und beeindruckende vestimentäre Kostüm­originale aus dem Netzwerk „Allerleirauh“ dokumentieren dazu die Szene Ost-Berlins. Und Künst­le­r:in­nen wie Wiebke Sim, deren Hüte skulpturale, bunte Objekte sind, holen die Kunst nah an den menschlichen Körper der Gegenwart.

Mode und Kunst bedingen sich also nicht nur, sie befruchten sich: Käthe Kruse hatte 2013 ein „neues Kostüm“ für das „Naturkatastrophenballett“ gebastelt, das die Gruppe Die Tödliche Doris in den 80er Jahren auf dem unbebauten, mit Pfützen übersäten Potsdamer Platz aufführte. Jetzt werden die Katastrophen anscheinend mit blauen Lackgummistiefeln losgetreten. Das sieht, man darf es ruhig sagen, eh fast noch besser aus.

Berlinische Galerie, bis 30. Mai. 2022. Katalog, Wienand Verlag, 288 Seiten, 39,80 Euro

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