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Die Idee der Gemeinschaft

T-Shirts als Botschafter: Das Dorf Neve Shalom/Wahat al-Salam in Israel arbeitet im Alltag am Miteinander von Israelis und Pa­läs­ti­nen­se­r:in­nen. Dazu gehört die Modemarke NSWAS

„Peace is the mission“ prangt deshalb auf einem der Designs der textilen Marke NSWAS

Von Tobias Grießbach

Folgt man der Autobahn 1 von Tel Aviv nach Jerusalem, öffnet sich ungefähr auf der Hälfte der Strecke das Ajalon-Tal. Zwischen dem Kloster Latrun, Rui­nen von Kreuzfahrerburgen und einem Museum für die Panzerverbände der Israel Defence Forces schaut das Dorf Neve Shalom/Wahat al-Salam unauffällig von einem Hügel in die Gegend. Als einzige zweisprachige und bewusst gemischte Kommune im Jahr 1970 vom Dominikanermönch Bruno Hussar gegründet, stellt NSWAS, so die gängige Abkürzung der Ortschaft, heute ein soziales und politisches Experiment dar, dass neben einem eigenen zweisprachigen Grundschulkonzept auch ein eigens gegründetes Institut zur Friedensarbeit, die Friedensschule, beherbergt sowie regelmäßig Gastgeber für Konferenzen zur Konfliktbewältigung und Koexistenz ist. Kunstausstellungen, Yoga-Workshops und Konzerte findet man hier genauso wie politische Veranstaltungen. Synagogen, Moscheen und Kirchen sucht man hier vergebens, stattdessen findet man etwas abseits ein gemeinsames „Spirituelles Zentrum“.

Feste wie Eid al-Adha, Pessach oder Weihnachten werden hier zusammen gefeiert, genauso wie Hochzeiten und Geburten. In dieser Umgebung gründeten drei Bewohner des Dorfs, Nadim, Ramez und Adam die Modemarke NSWAS, die bisher hauptsächlich T-Shirts vertreibt. „Wir haben lange darüber nachgedacht, wie wir die Ideen der Gemeinde verbreiten können. Mode erschien uns als passendes Vehikel für die Botschaften, mit denen wir aufgewachsen sind“, erklärt Nadim die Entstehung der Marke. „Wir möchten damit eine globale Community aufbauen, die sich mit den Idea­len von Neve Shalom/Wahat al-Salam identifizieren kann und noch nicht die Hoffnung auf einen gerechten Frieden aufgegeben hat.“

Alle drei sind hier geboren, wachsen mit Hebräisch und Arabisch sowie den verschiedenen Narrativen auf. Israelis und Pa­läs­ti­nen­se­r:in­nen wohnen hier nicht nur nebeneinander, auch sogenannte „Mischehen“ sind keine Seltenheit. „Peace is the mission“ prangt deshalb auf einem der Designs der Marke NSWAS, vor dem Konterfei des Gründers Bruno Hussar. „Für alle Menschen im Dorf, hier geboren oder zugezogen, geht es hauptsächlich um Koexistenz“, erzählt Nadim. „Wir leben in einem solch einzigartigen Umfeld!“ Hier leben israelische Ar­mee­ve­te­ra­n:in­nen neben ehemaligen palästinensischen Inhaftierten, Religiöse neben Athe­is­t:in­nen, und die Meinungen gehen bei vielen Themen nicht immer zusammen. Gestritten wird hier wie anderswo in der Region, aber auf Basis eines Konsenses.

Auf die Frage, ob er sich vorstellen könnte, dass die Marke NSWAS auch außerhalb des Dorfes entstehen hätte können, äußert Nadim Zweifel: „Ich möchte gern glauben, dass das möglich wäre.“ Überall in der Region geht es vor allem um Trennung. Getrennte Wohnorte, Schulen und Leben bestimmen das Bild. Die Idee, eine eigene Marke zu etablieren, entsprang dem Wunsch, einen Identitätsmarker zu schaffen, um der Trennung etwas entgegenzusetzen. Damit sollte eine Möglichkeit geboten werden, Teil der Kommune zu sein, ohne hier wohnen zu müssen.

So kann Nadim bestätigen, dass die nationale und internationale Resonanz auf NSWAS-Artikel überraschend groß und positiv ausgefallen ist. Die erste Kollektion ist mittlerweile ausverkauft. Daraus schöpfen die Macher auch die Motivation, weiterzumachen und nicht nur Kleidung zu vertreiben, sondern auch zu Veranstaltungen einzuladen. Denn um die Popularität und Beliebtheit des Dorfes ist es in Israel nicht gut bestellt. In der Vergangenheit wurde die Gemeinde immer wieder Ziel von rechtsradikalen Attacken. Letztes Jahr brannten im September die internationale Friedensschule und die Bibliothek des Dorfes ab.

Auch auf nationaler Ebene ist das Dorf weitestgehend isoliert. Unterstützt wird das Dorf allerdings international durch sogenannte „Freundeskreise“ in verschiedenen europäischen Ländern und den USA sowie durch Private. Die einzige konstante Geldquelle des Dorfes ist jedoch das kleine Hotel hinter der Dorf-Zufahrt. Seit der Coronapandemie und den Reglementierungen der israelischen Regierung ist diese jedoch ebenfalls bedroht. Die Marke NSWAS bietet für das Dorf deshalb einen willkommenen Optimismus. Trotzdem bleibt Nadim vorsichtig: „Israelis und Pa­läs­ti­nen­se­r:in­nen sind zerstritten wie eh und je und die Ereignisse vom Mai dieses Jahrs haben es nicht besser gemacht“, erklärt Nadim.

„So sehr wir an Frieden und Koexistenz glauben, umso mehr müssen wir die Marke und damit die Ideale von Neve Shalom/Wahat al-Salam verbreiten und bekannter machen. Wir geben die Hoffnung nicht auf“, sagt er gegenüber taz.

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