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Wochen mit einem toten Fötus

Agnes Nakamya aus Uganda ist 15 Jahre, als sie schwanger wird. Sie muss heimlich abtreiben

Aus Kampala, UgandaHalima Athumani Asijo

Im Dorf Bugolombya sitzt die zierliche Agnes Nakamya auf einem Hocker im Wohnzimmer im Haus ihrer Eltern. Es ist ein einfaches Haus aus Lehm, Flechtwerk und rostigen Eisenplatten mit drei kleinen Zimmern. Die Mehrheit der Menschen hier sind Kleinbauern, die Gemüse und Süßkartoffeln für den eigenen Bedarf anbauen. 2018 war die heute 19-jährige Agnes in einer Beziehung, die drei Jahre dauerte. Ihre Eltern konnten ihr keine Schulmaterialien kaufen. Doch ihr Freund war materiell bessergestellt. „Er gab mir Geld und sagte, ich solle mir einen Stift und Bücher kaufen.“ Für Agnes war deshalb klar, dass sie seinen sexuellen Forderungen nachkommen musste. In der High School entdeckte sie dann, dass sie im zweiten Monat schwanger war. „Die Lehrer sagten, ich müsse die Schule verlassen.“

Aus Angst vor der Reaktion ihrer Eltern be­schloss Agnes, heimlich eine Abtreibung vorzunehmen. „Wenn ich ihnen gesagt hätte, dass ich schwanger bin, hätten sie mich zur Heirat gezwungen. Aber ich war damals erst 15 Jahre alt und noch nicht bereit für eine Ehe.“Bugolombya liegt im Osten Ugandas im Bezirk Kamuli. Die UN-Organisation Unicef zählte hier allein von August 2020 bis Januar 2021 insgesamt 3.570 Teenagerschwangerschaften, ein Spitzenplatz, was Schwangerschaften von Minderjährigen in Uganda angeht.

Entschlossen, wieder zur Schule zu gehen, suchte Agnes den Rat einer Freundin. Die wusste eine Klinik, in der Agnes eine Abtreibungspille bekommen konnte – was nicht legal war. In der Klinik sagte man ihr, dass der Embryo durch die Pille innerhalb von 36 bis 48 Stunden sterben würde. Doch es kam anders: „Ich nahm die Pille und blutete eine Woche lang“, erinnert sie sich. Erst Wochen später löste sich der Embryo schließlich aus der Gebärmutter. „Es war schrecklich. Einen ganzen Monat lang trug ich einen toten Fötus in mir. Das hat mir große Angst gemacht.“

Nach ugandischem Recht drohte Agnes Nakamya zudem eine mehrjährige Haftstrafe. Denn der Zugang zu einer legalen und damit sicheren Abtreibung ist ausdrücklich nur dann erlaubt, wenn es darum geht, das Leben einer schwangeren Frau zu retten. Laut des Paragrafen 142 des Strafgesetzbuchs begeht hingegen jede Schwangere, die Mittel zu sich nimmt, um eine Fehlgeburt herbeizuführen, oder andere Schritte unternimmt, um eine Schwangerschaft abzubrechen, ein Verbrechen, das mit bis zu sieben Jahren Gefängnis bestraft wird. Wer eine Abtreibung an einer Schwangeren vornimmt, dem droht sogar eine Haftstrafe von 14 Jahren.

Unsichere Abtreibungen sind bis heute eine der Hauptursachen für Todesfälle von Frauen in Uganda. Laut des Uganda Demographic Health Survey von 2016 starben dadurch täglich vier bis sechs Mädchen und Frauen. Bereits zehn Jahre vorher hatte das Gesundheitsministerium aufgrund der hohen Sterblichkeitsraten die medi­zinische Betreuung nach einem Schwangerschaftsabbruch erlaubt.

Doch Rose Wakikona meint, dass es besser wäre, sichere Abtreibungen zu ermöglichen – anstatt auf eine nachträgliche Betreuung nach der Abtreibung zu setzen. „Das wäre billiger und weniger riskant.“ Die 34-jährige Anwältin ist Programmleiterin beim Zentrum für Gesundheit, Menschenrechte und Entwicklung und gilt als Expertin für sexuelle und reproduktive Rechte von Frauen – Themen, die sie leidenschaftlich verteidigt: „Weil Abtreibungen kriminalisiert werden, brauchen Schwangere lange, um sich behandeln zu lassen. Manchmal ist zu spät, wenn sie sich melden.“

Erhebungen zeigen, dass die Wahrscheinlichkeit für heranwachsende Mädchen, schwanger zu werden oder auch zu einer Heirat gezwungen zu werden, umso größer ist, je ärmer sie sind und je weniger Zugang zu Bildung sie haben. Die UN-Frauenrechtskonvention verpflichtet die Vertragsstaaten darum, den Zugang zu Gesundheitsdiensten wie dem zur Familienplanung zu ermöglichen. Doch hinkt Uganda bei der Umsetzung der Konvention hinterher.

„Ich wünsche mir, ich hätte genug Informationen, um sicheren Sex zu haben“

Agnes Nakamya, Schülerin

Die Anwältin Rose Wakikona glaubt, dass die Kriminalisierung für alle Beteiligten eine bewusst abschreckende Wirkung hat. Das sei auch darauf zurückzuführen, dass es sich um ein „von außen auferlegtes Gesetz“ handle. Denn das Strafgesetzbuch Ugandas stammt noch aus der britischen Kolonialzeit. Solange es nicht geändert wird, werden Betroffene weiter in die Illegalität gedrängt. Fast 75 Prozent aller Abtreibungen sind unsicher, sagt Wakikona. „Sie werden von nicht ausreichend geschultem Personal und in nicht zugelassenen Kliniken unter schlechten hygienischen Bedingungen durchgeführt.“

Richard Mugahi, der zuständige Beamte im ugandischen Gesundheitsministerium, sieht indes keine Notwendigkeit für eine Geset­zes­änderung. Denn ungewollte Schwangerschaften ließen sich seiner Ansicht nach deutlich verringern, indem mehr jüngeren Frauen ein „Zugang zu Familienplanungsdiensten“ ermöglicht werde.

Ex­per­t:in­nen für reproduktive Rechte betonen hingegen, dass soziale Gerechtigkeit die vielleicht wichtigste Voraussetzung dafür ist, dass sich Frauen frei entscheiden können, ob sie Kinder bekommen oder doch lieber einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen wollen. Agnes Nakamya ist inzwischen zumindest bewusst, dass ihr sexuelle Aufklärung helfen würde, selbstbestimmter zu leben: „Ich wünsche mir, ich hätte genug Informationen, um mich zu schützen und sicheren Sex zu haben.“

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