kritisch gesehen: Soundtrack für James Joyce’„Ulysses“
Wir beobachten Leopold Bloom, wie er sich im Laufe eines Tages durch Dublin bewegt. Es ist der 16. Juni 1904. So lautet die knappe Inhaltsangabe des Romans „Ulysses“ von James Joyce. Heute vor genau 100 Jahren, zu dessen 40. Geburtstag, erschien die Erstausgabe des monumentalen Romans, der bis heute als eines der bedeutendsten Werke der Literaturgeschichte gilt. Die Veröffentlichung am 2. Februar 1922 verdankte Joyce seiner Herausgeberin Sylvia Beach, Besitzerin der Pariser Buchhandlung Shakespeare and Company. Ernest Hemingway war begeistert, Virginia Woolf empfand den Roman als entsetzlich langweilig. Noch heute polarisiert „Ulysses“. Für die einen ist es bloß eine langgezogene Alltagsbeschreibung, für die anderen ein grandioses Erzählexperiment, das Homers Odysseus-Mythos ins 20. Jahrhundert versetzt.
Fasziniert von James Joyce’literarischem Werk ist auch der in Hamburg lebende Musiker Axel Bloom. „Wenn James Joyce kein Punk ist, dann weiß ich auch nicht“, sagt er, dessen selbst gewählter Künstler-Nachname eben jener des Protagonisten von „Ulysses“ ist. „So ein Freiheitsdrang und ein Wille, Sachen mit einer Selbstverständlichkeit zu tun, ohne zu überlegen, was die Konsequenzen sind.“ Unglaublich modern sei dieser Drang nach Freiheit, der sich überall in Joyce’Büchern finde. Axel Bloom hat dem Roman, den er immer wieder aufs Neue gelesen hat, mit dem Album,,A Day with Joyce“ ein musikalisches Denkmal gesetzt. 18 Songs hat er geschrieben, in denen Bloom seine persönliche,,Ulysses“-Erfahrung in Musik übersetzt, jeweils auf der Grundlage eines Begriffes, den er dem Buch per Zufallsprinzip entnommen hatte.
Die Verbindung zum literarischen Klassiker lässt sich schon am Eröffnungstrack des Albums erkennen, „Martello Tower“. Der Titel bezieht sich auf jenen Turm, in dem Joyce’Roman-Alter Ego Stephen Dedalus lebt, jenen Ort, an dem „Ulysses“ auch beginnt. Im weiteren Verlauf verschlägt es uns dann an weitere Orte des Romans, von der „National Library“ durch die „Streets of Dublin“ bis in die Taverne. Die Stimmungen der Songs wechseln sich ab, wie es eben im Laufe eines Tags geschieht: mal melancholisch, dann wieder energisch. Das menschliche Dasein – das lernt man nicht zuletzt in „Ulysses“, kennt viele Nuancen.
Ein Soundtrack für „Ulysses“, was für eine wunderbare Idee! Das hätte dem Iren, der sich immer weiter von der konventionellen Erzählsprache entfernt hat, bestimmt gefallen. Ein Anreiz, sich endlich doch noch mal zu trauen, das monumentale Werk in die Hände zu nehmen, ist es in jedem Fall. Dass es sich lohnt und der durch Dublin flanierende Leopold Bloom auch 100 Jahre nach Erscheinen des Romans noch genug Identifikationspotenzial besitzt, davon ist sein Namensvetter Axel Bloom natürlich überzeugt: „Wenn man sich für das Menschsein interessiert, dann muss man das Buch gelesen haben. Da steht ja alles drin.“ Lenard Brar Manthey Rojas
A Day with Joyce ist bei Bandcamp und allen üblichen Streamingdiensten zu hören:
https://axelbloom.bandcamp.com/album/a-day-with-joyce-2
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