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Wenn Rollen kollidieren

Unter erschwerten Bedingungen gastierte die Münchner Diskursfunkband Fehler Kuti und die Polizei in Berlin

von Julian Weber

Im Saal ist es fast so still wie bei einer Anhörung vor Gericht. Wird wem der Prozess gemacht? Oder müssen wir uns an gedämpftes Gemurmel gewöhnen, bevor Konzerte unter Pandemiebedingungen starten? Im Schachbrettmuster sitzen zu müssen, mit Mundschutz, jeweils versetzt zwischen leeren Stühlen, die mit Klebeband abgesperrt sind, steigert nicht gerade das Vergnügen. Zuschaueranzahl und Bewegungsradius der Zugelassenen bleiben ohnehin eingeschränkt. Erschwerte Bedingungen also, am Donnerstagabend im halbleeren großen Saal des HAU in Berlin, als die Münchner Band Fehler Kuti und die Polizei aufspielt.

„The History of the Federal Republic of Germany as told by Fehler Kuti und die Polizei“ steht auf einem weißen Banner über der Bühne, drunter ein vergrößertes altes Foto, eine Frau, möglicherweise Mutter, mit zwei Kindern im Arm, eines davon schwarz. Dazu später mehr.

Zuerst betritt die Polizei den Saal. Fünf Mu­si­ke­r:In­nen deckungsgleich in braunen Hosen und beigen Hemden chanten A-cappella-Vokale. Dann skandiert Percussionist Sascha Schwegeler in harter Diktion: „Deutsche Pässe, deutsche Pässe, deutsche Pässe“, und Sänger Fehler Kuti alias Julian Warner kegelt dazu auf die Bühne wie ein Brummkreisel. Allmählich setzt die Band ein; angetrieben von Drummer (und Notwist-Mastermind) Markus Acher, der meist Tempo und Takt vorgibt, steigen Tubistin und Saxofonistin Theresa Loibl, Bassist und Saxofonist Tobias Siegert und Keyboarderin Sachiko Hara ein.

Warner arbeitet auch als Kulturanthropologe und Kurator für Theater(festivals). Immer wieder meldet er sich zu Themen wie Identitätspolitik zu Wort. In dem von ihm herausgegeben Band „After Europe. Beiträge zur dekolonialen Kritik“ schreibt er etwa darüber, beim Thema Rassismus „spezifische historische und geografische Situationen zu erfassen“, aber nicht in Glaubenssätzen, die losgelöst von Raum und Zeit entstehen. Sehr reflektiert klingt das, aber auch selbstkritischer als der identitätspolitische Diskurs, der Schwarzsein oftmals mit Viktimisierung gleichsetzt. Warner erwähnt seine privilegierte Position als Akademiker immer mit.

Zaudern und Nicht-einverstanden-Sein finden ihren Weg auf die Bühne; wenn er singt, schwingt viel mehr mit und seine Rolle als Entertainer kollidiert mit der als Wissenschaftler und Regisseur. Dann ächzt es zuweilen unter der Diskurslast. Mal hält Fehler Kuti einen kurzen Monolog, erzählt eine persönliche Anekdote, bevor die Musik einsetzt, und manchmal wirkt er dabei noch unschlüssig, sucht erst nach der Bestimmung.

Unruhe, angriffslustige Grund­stimmung, eingebettet in Jazz- und Groove-basierten Songarrangements, kennzeichnen die Atmosphäre auf den bisher veröffentlichten Alben „Schland Is the Place for Me“ (2019) und „Professional People“ (2021). Race und Class und ihre Debatte in Deutschland sind die wiederkehrenden Themen in Fehler Kutis Texten, der schon im Künstlernamen die Fallstricke und Irrtümer in der Bezugnahme auf den internationalen (stark angloamerikanisch geprägten) Diskurs spiegelt, der sich auch in die Popsphäre übertragen hat.

„On MTV the cool boys / In private more than paranoid / This transatlantic ideology / Will end most violently“, singt Warner in dem Song „Transatlantic Ideology“. Mehr überzeugen allerdings die Steeldrums, kongenial von Sascha Schwegeler bedient, leicht windschief tönend, aber auffrischend.

Manchmal zu verzagt. Nur weil die Welt eine ungerechte ist, muss ein Song darüber nicht hemmen

Manchmal wirkt Die Polizei am Donnerstag in ihrem Agieren noch zu verzagt. Um nicht den Flow von Sänger Fehler Kuti zu unterbrechen, zwingen sich die Mu­si­ke­r:In­nen zur Zurückhaltung. Obwohl es die Songs eigentlich zulassen würden, fehlt es an der unangestrengten Performance. Nur weil die Welt eine ungerechte ist, muss ein Song darüber nicht hemmen. Wenn Fehler Kuti einmal loslässt, mit in die Musik einsteigt und Synthesizer spielt, klingt es sofort runder. Vielleicht liegt es auch an der Klangdynamik im Saal? Einzelne Instrumente setzen sich nur schwer durch.

Schwarze Geschichte in Deutschland sei ein Scherbenhaufen, erklärt Warner irgendwann und zeigt auf das Bühnenbild hinter sich. Das Foto von einer Frau und ihren beiden Kindern stamme aus den frühen 1920er Jahren. Es sei Sinnbild der „schwarzen Schmach“ genannten Besetzung des Rheinlands durch die französische Armee. Schwarze Soldaten aus den Kolonien waren dabei im Einsatz. Und die Kinder, die sie mit deutschen Frauen gezeugt haben, sogenannte „Rheinland-Bastarde“ seien lange vor der NS-Zeit zwangssterilisiert worden. Das ist eine Vorgeschichte der „History of the Federal Republic of Germany“, aber auch sie sollte nicht vergessen werden.

„1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, all Ausländer go to Heaven“ treibt Warner seine Band dann an. Zuvor erzählt Warner, wie er von der Münchner Polizei daran gehindert wurde, Fotos von einer migrantischen Besetzung am zentralen Sendlinger-Tor-Platz zu machen. Als der Platz geräumt wurde, hingen noch Kleidungsstücke in den Bäumen. Dann stimmt Sachiko Hara eine wunderbare Melodie auf der Melodika an, die Band setzt ein, es wirkt für einen kurzem Moment beschwingt, fast heiter. Raus in die eiskalte Nacht.

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