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Der Olymp der Literatur und die Rangeleien dahinter

Notizbuch: Zum 70. Jubiläum gönnt sich der Büchner-Preis eine gelungene Website. Klicken durch die Preisgeschichte

Den Zählpferden erzählen, was Krieg ist, das ist für mich das geheime Herz jeder Erzählkunst.“ Diesen geheimnisvollen zentralen Satz aus der diesjährigen Büchner-Preis-Rede von Clemens Setz kann man jetzt nicht nur nachlesen, sondern auch leicht nachhören, so wie einige andere berühmt berüchtigte Büchner-Preis-Reden der vergangenen siebzig Jahre auch und wie noch manches mehr rund um Deutschlands renommiertesten Literaturpreis, denn die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung hat die Aufzeichnungen, so weit zugänglich, auf die neue Website buechnerpreis.de gestellt, und das ist gut, weil es ja bei solchen Sätzen wie dem von Setz auf die Betonung ankommt. Spricht Setz den Satz ironisch-heiter oder ernst-bekennend? Er tut es ernst, mit einer klitzekleinen theatralischen Pause und einer Stimme, die ganz gelassen Aufrichtigkeit transportiert, und das kann man jetzt also wissen und sich nicht nur denken.

Die Website ist wirklich gut gemacht, mit intuitiver Benutzerführung und souveräner Ausnutzung der digitalen Möglichkeiten – klingt das jetzt allzu affirmativ? Nun, bei der manchmal nicht gerade an der Speerspitze der Digitalisierung stehenden Akademie ist man auch einfach positiv überrascht. Jedenfalls klickt man sich hier gern durch die Literaturgeschichte. Neben der von Clemens Setz lassen sich etwa auch die Büchner-Preis-Reden von Paul Celan 1960 (ein Fest des Sprechens), Ernst Jandl 1984 und Elfriede Jelinek 1998 nachhören, in anderen Fällen, etwa F. C. Delius 2011 und – schade – Rainald Goetz 2015, fehlten wohl die Rechte; Rainald Goetz „Amore“ singen hätte man gern noch einmal gehört, immerhin wird die Laudatio von Jürgen Kaube angeboten. So weit fungiert die Website also als Chronik und Archiv. Und sie leistet sogar noch mehr: Über einige Preisvergaben werden breiter angelegte Geschichten erzählt, die wie multimediale Ausstellungen funktionieren, mit Fotos, Dokumenten, eingesprochenen Hintergrundgeschichten und Fernsehausschnitten.

Drei solcher Geschichten gibt es bis jetzt: über den ersten Preisträger Gottfried Benn 1951, die Proteste um die Preisvergabe an Helmut Heißenbüttel 1969 sowie die deutsch-deutschen Verwicklungen bei der Preisvergabe an Christa Wolf 1980, als zum ersten Mal eine Autorin aus der DDR ausgezeichnet wurde. Storys etwa um die Eklats, als Günter Grass 1965 und Erich Fried 1987 ausgezeichnet wurden, sollen folgen.

In diesen Storys wird die eigene Geschichte aufgearbeitet, und zwar, wie sich das gehört (aber auch nicht selbstverständlich ist), keinesfalls unkritisch. Dass der erste Georg-Büchner-Preis an Gottfried Benn, wiewohl fürs Renommee des Preises wahrscheinlich ein Glücksfall, auch fragwürdig war, kann Helmut Böttiger erläutern; die Flucht Benns, der eine Zeitlang mit den Nazis paktierte, nach dem Krieg ins Existenzielle und Unpolitische bezeichnet Böttiger als Identifikationsangebot an eine verdrängende Gesellschaft. Zugleich war der Preis mit Benn auf Elite und Olymp festgelegt: Man „empfand tief“ (Böttiger). Der Schriftsteller Stefan Andres als Gegenkandidat wurde dabei mit der Bemerkung aus dem Spiel gekegelt, man müsse Glück haben, bei ihm einen alkoholfreien Tag zu erwischen.

Insgesamt erfährt man in diesen Storys einiges aus dem Maschinenraum des Literaturbetriebs und über die Rangeleien, die hinter der Produktion von literarischer Aura stehen. Dass man gern immer noch mehr über die kleinen Gemeinheiten während der Jurytätigkeiten erfahren würde, ist ja klar. (drk)

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