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Sie sind die zwei Prozent

Aktion Selbstbesteuerung: 100 Menschen aus ganz Deutschland zahlen freiwillig Steuern und bestimmen über die Verwendung der Gelder

Von Joachim Göres

Rund 100 Menschen aus ganz Deutschland geben jeden Monat freiwillig zwei bis drei Prozent ihres Einkommens, um Projekte in armen Ländern in Afrika, Asien und Lateinamerika finanziell zu unterstützen. 50.000 Euro kommen so jedes Jahr zusammen, über deren Verwendung die Mitglieder der „Aktion Selbstbesteuerung“ (asb) entscheiden. „Wir geben meist pro Projekt zwischen 1.000 und 3.000 Euro“, sagt Margarete Rölz aus Langen in Südhessen. Sie hat einst als Chemikerin gearbeitet und ist schon lange bei der „Aktion Selbstbesteuerung“ dabei, für die sie als ehrenamtliche Kassenwartin tätig ist. „Bei uns machen viele Akademiker mit, es gibt viele Lehrer und Pfarrer. Jeder zweite dürfte inzwischen im Rentenalter sein, wie ich auch“, sagt Rölz, die zudem im Weltladen Langen aktiv ist.

1969 wurde die „Aktion Selbstbesteuerung“ auf dem Evangelischen Kirchentag in Stuttgart geboren. 20.000 Menschen unterzeichneten damals eine Selbstverpflichtung. 1973 gründete sich dann der gemeinnützige Verein „Aktion Selbstbesteuerung“, um die Gelder zu verteilen. Er zählte zu seinen besten Zeiten in den 1980er Jahren fast 500 Mitglieder. „Friede durch gerechte Entwicklungspolitik“ war das Motto. Das Ziel: für die Opfer der ungerechten Weltwirtschaftsordnung eintreten, in der die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden. Dabei konzentriert man sich auf Projekte, die Hilfe zur Selbsthilfe leisten. Früher wurden zum Beispiel Anti-Apartheits-Initiativen wie „Kauft keine Früchte aus Südafrika“ gefördert.

Im vergangenen Jahr hat die asb unter anderem 2.000 Euro für die Wasserversorgung einer Berufsschule in Gambia gegeben – etwa die Hälfte der Summe, die für eine Brunnenbohrung sowie die Anschaffung von Solarpaneelen sowie einer Pumpe notwendig war. 500 Euro wurden für die Einrichtung einer Lernküche einer Straßenkinderschule in Pakistan bereitgestellt. Dort lernen mehr als 70 Kinder, die bisher von ihren Eltern zu Gelegenheitsarbeiten oder zum Betteln geschickt wurden, im Kochunterricht, wie man eine warme Mahlzeit kocht, die abwechslungsreich und frisch zubereitet ist. Allgemein gilt, dass die asb ein Projekt nicht allein finanziert.

Entschieden wird über die Verwendung der Gelder auf der Mitgliederversammlung, die zweimal im Jahr stattfindet. „Wir nehmen uns immer zwei Tage Zeit. Am ersten Tag wird inhaltlich über die verschiedenen Anträge auf finanzielle Unterstützung diskutiert, am zweiten Tag beschließen wir dann, ob und in welcher Höhe wir ein Projekt fördern“, sagt die asb-Vorsitzende Beate Schmucker aus Bleckede bei Lüneburg. Dabei gibt es durchaus Kontroversen: Soll der Kürbisanbau eines Projektes in El Salvador mitfinanziert werden, auch wenn beim Anbau Pestizide eingesetzt werden? Soll man dazu beitragen, dass eine Frauenkooperative im Senegal Hühner hält und dabei Antibiotika einsetzt? „Man kann nicht immer nach unseren Maßstäben urteilen. Eine Bioproduktion ohne Pestizide oder Antibiotika wäre schön, aber das ist oft nicht finanzierbar und es fehlen die Abnehmer“, sagt Schmucker, die im Hauptberuf als Sozialarbeiterin unter anderem Geflüchtete betreut.

Schade für Costa Rica

Nicht alle Anträge waren erfolgreich. So wurde die Unterstützung für den Bau eines ländlichen Bildungszentrums in Costa Rica abgelehnt. „Bei diesem Projekt gab es große Firmen als Unterstützer, sodass es auf uns nicht ankommt und die Realisierung auch ohne uns stattfinden kann“, betont Schmucker. Auch ein Videoprojekt in Mexiko, in dem es um die körperliche Selbstbestimmung geht, fand keine Mehrheit, weil es zu unkonkret begründet wurde und es ähnliche Filme bereits gibt.

Auch in Deutschland werden Aktionen finanziell unterstützt, die „über die bei uns liegenden Ursachen für die weltweite Armut aufklären“ wie beispielsweise das Afrikanische Filmfestival in Hamburg, Infoveranstaltungen zur Lieferkette von Textilien in Leipzig und die Vorführung eines Dokumentarfilms in mehreren deutschen Städten zum Thema Bleivergiftung durch Batterie­recycling in Kenia. Grundsätzlich haben kleinere Selbsthilfeprojekte, die auch eine politische Komponente haben, die besten Chancen auf eine Förderung. Ein Drittel der Anträge wird im Vorfeld abgelehnt. „Wir können uns nicht die Projekte vor Ort anschauen, aber man kann sie schon auf Plausibilität überprüfen. Außerdem arbeiten wir mit vielen Kontaktpersonen zusammen und jedes geförderte Projekt muss dar­legen, was mit dem Geld passiert“, sagt Rölz. Sie würde sich freuen, wenn es mehr Anträge von Gewerkschaften und Basisinitiativen mit klaren politischen Zielen geben würde.

Nach ähnlichen Kriterien wie die „Aktion Selbstbesteuerung“ arbeitet der „Arbeitskreis für Entwicklungspolitik und Selbstbesteuerung“ (AES), der in Bayern 100 Mitglieder zählt – die AES-Mitglieder überweisen regelmäßig ein bis drei Prozent ihres Nettoeinkommens (siehe www.aes-ev.de).

Wie geht es weiter? Auch darüber diskutierten die asb-Mitglieder auf ihrer Versammlung, nachdem eine langjährige Unterstützerin kürzlich ihren Austritt erklärt hatte und dabei auf andere Prioritäten verwies – der Klimawandel sei das drängendste Problem, damit müsse man sich beschäftigen. „Die einhellige Meinung auf der Tagung war, dass unsere Arbeit nach wie vor ganz viel Sinn macht“, entgegnet Schmucker und ergänzt: „Ohne unsere Unterstützung könnten viele wichtige Projekte nicht realisiert werden.“

Im asb-Rundbrief, der die Mitglieder regelmäßig über den Stand der Projekte informiert, schreibt sie dazu: „Was mindestens so wichtig ist wie die materielle Solidarität, ist das Wissen für die Menschen, die in prekären Lebensverhältnissen kämpfen, dass es Menschen gibt, die an ihre Ideen glauben. Das gibt Hoffnung und auch Würde.“

aktion-selbstbesteuerung.de

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