Olympia-kritische Prominenz

SPORT Gunter Gebauer, Uni Bremen, kritisiert die Kommerzialisierung von Olympia. Dafür bringt er heute vier goldbekränzte Kronzeugen nach Bremen

„Der ehemalige Spitzensportler, der als 35-Jähriger nur noch von seiner Vergangenheit erzählt, ist eigentlich ein sozialer Krüppel“

„Sport im Zeitalter des Spektakels“ heißt ein berühmtes Buch von Gunter Gebauer. Naheliegend also, dass sich der Bremer Sportwissenschaftler kritisch mit den im August in London beginnenden Olympischen Spielen auseinander setzt. Und für das sportwissenschaftliche Institut der Uni, seit Abwicklung der Sportlehrerausbildung stets von der Schließung bedroht, ist das Thema eine gute Gelegenheit, auf die dort vorhandenen Kompetenzen hinzuweisen.

Zusammen mit Deutschlandfunk und Deutschlandradio produzieren die Sportwissenschaftler heute eine Olympia-Sendung, zu der sie sich weitere Kompetenz eingeladen haben: vier Olympiasieger. Gebauers prominentestes Mitbringsel ist Cornelia Hanisch, zigfache deutsche Fechtmeisterin, Doppelweltmeisterin – und 1980 wahnsinnig enttäuscht, als sie wegen des Boykotts des Westens nicht zu den olympischen Spielen nach Moskau reisen durfte. Um doch noch olympisches Gold holen zu können, verlängerte sie eigens ihre Leistungssportkarriere, wie sie in einem Interview mit den Fechtnews bekannte – wie sich anschließend ihre Sicht auf Olympia veränderte, wird sie heute in Bremen darlegen.

Für Hans Lenk hingegen, 1960 erfolgreich im Deutschland-Achter, ist das olympische Gold nur eine unter endlos vielen Dotierungen, angefangen beim „Silbernen Lorbeerblatt des Bundespräsidenten“ über acht Ehrendoktoren bis zur Präsidentschaft des Institut International de Philosophie, der „Weltakademie der Philosophie“. Als erster deutscher Olympiasieger bewerkstelligte er eine wissenschaftliche Karriere. 30 seiner 135 Bücher thematisieren die moralische Verantwortung des Sports, gleichzeitig blieb er anerkannter Insider: Dieses Jahr wurde Lenk in die „Hall of Fame des deutschen Sports“ aufgenommen. 2010 bekam er den neu geschaffenen Ethikpreis des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) – ausdrücklich „als moralische Institution, die als Frühwarnsystem auf viele moralische Verformungen des Sports hingewiesen und leider viel zu oft Recht behalten hat“. Spannend also, was er den Olympiern nun ins Stammbuch schreiben will – so viel Olympia-kritische Kompetenz wie heute war in Bremen noch nie versammelt.

Sie wird nicht nur die allgemeine Kommerzialisierung von Olympia aufs Korn nehmen, sondern auch die Sackgassen der Sportförderung: „Der ehemalige Spitzensportler, der als 35-Jähriger nur noch rumhockt und die nächsten 40 Jahre von seiner Vergangenheit erzählt“, sagt Gebauer, „ist eigentlich ein sozialer Krüppel.“ HB

„Verbogenes Gold. Über Licht und Schatten der Olympischen Spiele“: Heute zwischen 16 und 19 Uhr im Haus der Wissenschaften, Sandstraße