Minideutschland fürs Klima

Bürgerräte sind repräsentativ und wollen die Politik beeinflussen: In Berlin hat ein Gremium seine Forderungen den Koalitionären übergeben, um die Erderhitzung einzudämmen – wie zuvor in Glasgow

„Es ist klar, dass das nicht alles umgesetzt wird“

Rabea Koss, Bürgerrat

Von Enno Schöningh

Sie bezeichnen sich als ein „weitestgehend repräsentatives Minideutschland“. Am Mittwoch hat der Bürgerrat Klima, ein aus 160 zufällig ausgewählten Bür­ge­r*in­nen bestehendes Gremium, seine Forderungen an die Parteien der sich bildenden Koalition in Berlin überreicht.

Im Bürgerrat sitzen Se­nio­r*in­nen, Jugendliche, Hand­wer­ke­r*in­nen oder auch Aka­de­mi­ke­r*in­nen aus ganz Deutschland, auch bezüglich Alter und Wohnort soll die Gruppierung repräsentativ sein. Monatelang haben sie in 12 Onlinesitzungen unter wissenschaftlicher Begleitung über 80 Empfehlungen erarbeitet, damit Deutschland sich in Richtung der Vorgaben des Pariser Klimaschutzabkommens begeben kann. Das Ziel, die Erderhitzung möglichst nicht über 1,5 Grad steigen zu lassen, solle künftig oberste Priorität bei allen politischen Entscheidungen der Ampelkoalition haben.

Der Rat fordert 120 Stundenkilometer Tempolimit auf Autobahnen und 80 auf Landstraßen und 100 Prozent Ökostrom bis 2035. Oder dass 2 Prozent der Landesfläche für Windparks reserviert werden sollen. Außerdem wird gefordert, dass ein CO2-Preis als „verbindliches Instrument“ sozial ausgestaltet sein muss. Weiter, dass die Infrastruktur für Fahrräder massiv ausgebaut und der ÖPNV verbessert und günstiger wird. Autos mit Verbrennermotor sollen spätestens im Jahr 2030 nicht mehr zugelassen werden.

Schirmherr der von einem Verein organisierten und von Stiftungen finanzierten Aktion ist der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler. „Das Ergebnis sendet ein klares Signal an die Politik: Unterschätzt die Bürger nicht!“, hatte Köhler gesagt.

„Wir wissen, dass sich die Empfehlungen angeschaut werden, und werden sehen, welche davon es schaffen“, sagt Bürgerratssprecherin Rabea Koss. Die Strategie für den Fall, dass die Vorgaben von der neuen Koalition nicht umgesetzt werden, sei, die kommende Regierung erneut an das 1,5-Grad-Ziel zu erinnern. Doch Koss zeigt sich auch realistisch: Es sei „klar, dass das nicht alles umgesetzt wird“.

Bereits am Montag hatte das internationale Pendant zum deutschen Bürgerrat seine Forderungen im zivilgesellschaftlichen Bereich der UN-Klimakonferenz in Glasgow präsentiert. Die Global Assembly, 100 zufällig ausgesuchte Menschen aus aller Welt, hatten ebenfalls zuvor debattiert, wie die Menschheit die Erde bewohnbar halten kann. Hinter der Vereinigung stecken NGOs, die Vereinten Nationen und einige Regierungen, allen voran Großbritannien.

Die 100 Personen waren in einem mehrstufigen Prozess ausgelost worden. Erst wurden verschiedene Orte festgelegt, die gut über die Welt verteilt liegen. Dann machten sich die In­itia­to­r*in­nen dort nach potenziellen Teil­neh­me­r*in­nen auf die Suche, innerhalb dieser Gruppen entschied das Los.

Neben einem Bekenntnis zum 1,5-Grad-Ziel betont ihre Erklärung vor allem die Kritik an den globalen klimapolitischen Machtverhältnissen. In Artikel 3i werfen die Teilnehmenden den Veranstaltern der Klimakonferenz vor, dass mächtige Staaten und Unternehmen einen unverhältnismäßig hohen Einfluss auf globale klimapolitische Entscheidungsprozesse hätten.

Bür­ge­r:in­nen­rä­te werden weltweit zunehmend als Partizipationsinstrument eingesetzt. Horst Köhler sieht den deutschen Rat als ein „Zeichen gegen die Resignation“. Auch in Großbritannien, Frankreich und Irland gab es bereits Bür­ge­r*in­nen­rä­te zum Klimawandel. Auch sie empfahlen den Regierungen eine progressivere Politik. Umgesetzt wurden die Empfehlungen allerdings selten komplett, denn verbindlich sind die Ergebnisse der Räte nicht.