Jörn Kabisch Angezapft: Wie aus dem Kinder-Kaufmannsladen
Eine Gesetzmäßigkeit vieler lokaler Konflikte ist: Für Außenstehende sind sie kaum nachzuvollziehen, auch nicht mit viel Wissen. So zum Beispiel verhält es sich auch mit der Frage: Herri oder Gilde? Sie teilt Hannover, Herrenhäuser (Herri) und Gilde sind die beiden großen Brauhäuser der Stadt, und der Streit dreht sich um ihr Pils.
Herrenhäuser, mit viel Gold im Etikett und unweit der Herrenhäuser Gärten produziert, einem großen Barockensemble, galt lange als das Bier für die bessere Gesellschaft und den feineren Gaumen, der Konkurrent als das ordinärere Getränk. Nachdem Gilde dann Anfang des Jahrtausends in die weltgrößte Brauereigruppe, AB-InBev, eingemeindet wurde, schien der Streit schon fast entschieden, auch weil der Großkonzern die Pflege der traditionellen Marke vernachlässigte. Interessanterweise gelang es Gilde, sich 2016 wieder selbstständig zu machen, ist heute städtische Privatbrauerei, daher ist der Streit wieder neu entbrannt – ein Streit, der sich für die Brauereien auszahlt.
Herri oder Gilde? Wer nicht zwischen die Fronten geraten will, zum Beispiel, weil er geschmacklich kaum einen Unterschied zwischen den beiden Bieren ausmachen kann, für den gibt es Alternativen. So wie das Lindener Spezial. Kein Pils, ein Export, ein Braustil, der Anfang des 20. Jahrhunderts so modern war wie später Pils und es heute „naturtrübes“ Helles ist. Die Flasche in ihrem aktuellen Design sieht aus, als gehöre sie in einen Kinder-Kaufmannsladen, gleich neben Mondamin und Maggi-Flasche – Produkte aus der guten, alten Markenwelt der Bundesrepublik.
Das Bier stammte ursprünglich aus der Lindener Actien-Brauerei, heute gehört es zum Portfolio der Gilde-Brauerei. Und die wirbt so für das Spezial: „Untergäriges, goldgelbes Vollbier mit einer betonten Hopfennote.“ Ich füge hinzu: goldgelb und glasklar, der Schaum faszinierend schneeweiß, der Geruch leicht malzig.
Und der Geschmack? Ist ausgesprochen strohig mit einer unscheinbaren Zitrusnote, an die sich eine dumpf-metallische Bitterkeit anschließt, die sich am Gaumen festsetzt wie Hansaplast. Auch wenn es nicht so klingt: Das ist positiv gemeint. Das Lindener Spezial macht so Bäm!, dass man ein anderes geschmackliches Bäm! entgegensetzen will: Currywurst ist ideal.
Ganz sicher ist das Spezial das interessanteste der Biere der beiden großen Brauhäuser der Stadt. Deren neu erwachte Konkurrenz befruchtet inzwischen die sehr lebendige Craftbeer-Szene an der Leine. Es gibt noch mehr Zweikämpfe. Deshalb verspreche ich: Fortsetzung aus Hannover folgt.
Lindener Spezial, Gilde Brauerei, 5,1 % vol.
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