piwik no script img

Bürokratie gegen Energiewende

Solarkraftwerke auf dem Balkon können die Energiewende unterstützen – und sie sind vergleichsweise günstig. Seit Jahren setzen sich Be­für­wor­te­r:in­nen für ihre Verbreitung ein, dabei werden sie aber immer wieder ausgebremst

Von Tjade Brinkmann

Der Betrieb ist ja denkbar einfach: Ein kleines Solargerät auf dem eigenen Balkon wird direkt in die Steckdose gesteckt, der erzeugte Strom deckt einen Teil des Verbrauchs in der Wohnung ab – alle können einen persönlichen Beitrag zur Energiewende leisten und dabei selbst finanziell profitieren. So einfach könnte es sein. Doch so ist es noch immer viel zu selten.

Bernhard Weyres-Borchert ist Energieberater bei der Verbraucherzentrale Hamburg und macht das, was die Berufsbezeichnung vermuten lässt: Er berät Ham­bur­ge­r:in­nen zum energiesparenden Bauen und Wohnen und zur Nutzung erneuerbarer Energien – egal ob Bauherr:innen, Mie­te­r:in­nen oder Gewerbetreibende. Er sagt: „Es gibt verschiedenste Möglichkeiten, wie man sich als Verbraucher an der Energiewende beteiligen kann.“ Mit den kleinen Solargeräten für die Steckdose könne man aktiv vergleichsweise kostengünstig an der Wende der Stromgewinnung teilhaben. „Steckersolargeräte“ nennt Weyres-Borchert diese Anlagen, in anderen Kontexten verwendet man weniger technische Begriffe: Balkonkraftwerk, Solar-Rebell oder Guerilla PV. Ihr großer Vorteil: Sie könnten ohne Installation durch einen Solarfachbetrieb erfolgen.

Im Vergleich mit den typischen Photovoltaikanlagen sind Steckersolargeräte deutlich kleiner konzipiert. Sie sind üblicherweise rund einen Meter breit und eineinhalb Meter lang und ähneln vom Aussehen den Modulen, die man von Dächern kennt. Technisch gesehen sind die Module für die Steckdose keine Anlagen, sondern elektrische Haushaltsgeräte – wie Wasserkocher, Flachbildfernseher und Co.

Ein durchschnittlicher Wohnhaushalt könne mit einem 300-Watt-Modul etwa ein Zehntel seines Stromverbrauchs selbst decken, schätzt Weyres-Borchert. Bei einem Strompreis von circa 30 Cent die Kilowattstunde würde ein solcher Haushalt demnach bis zu 90 Euro im Jahr einsparen. „Die Investitionskosten für die Geräte liegen meist zwischen 500 und 700 Euro und sind damit deutlich überschaubarer als die Kosten für die aufwendigen Dach-Anlagen, bei denen man mit Installation für eine Anlage mit 4.000 Watt Höchstleistung ungefähr 8.000 Euro veranschlagen muss“, sagt Weyres-Borchert.

Jahrelanger Kampf für Vereinfachung

Sorgen, dass Steckersolargeräte wegen ihrer vergleichsweise geringen Kosten nur wenige Jahre halten, müssten Käu­fe­r:in­nen nicht haben. „Im Schnitt machen die Module wirklich Jahrzehnte ihren Dienst“, sagt Weyres-Borchert. Somit rentiere sich die Investition bereits nach einigen Jahren auch finanziell.

Nur sind bei den Steckersolargeräten die bürokratischen Hürden hoch, sagt Weyres-Borchert. „Offiziell muss man auch bei diesen Modulen das gleiche Anmeldeverfahren durchlaufen wie bei einer echten Photovoltaikanlage: sowohl beim Netzbetreiber und als auch beim Marktstammdatenregister.“ Gerade aufgrund der geringen Leistung stelle sich die Frage, ob dieser Umfang an bürokratischen Hürden sinnvoll ist, meint Weyres-Borchert.

Und dabei haben sich die Hürden schon stark verringert. Holger Laudeley aus Ritterhude nördlich von Bremen gilt als einer der Pioniere für die Entwicklung und Verbreitung der Steckersolargeräte. Seit Jahren versucht der studierte Diplom-Ingenieur die rechtliche Situation rund um die Module zu vereinfachen. Anfang September hat ihm die Werner-Bonhoff-Stiftung dafür ihren Wirtschaftspreis verliehen.

Sie zeichnet damit Engagement „wider den Paragraphen-Dschungel“ aus, um damit nach eigener Aussage „Bürokratismus und Verbesserungsbedarf in der öffentlichen Verwaltung“ sichtbar zu machen. „Holger Laudeley zeigt mit seinem Fall auf, wie schwierig es sein kann, neue Produkte mit gesetzlichen Bestimmungen in Einklang zubringen“, erklärt die Stiftung. Er habe dafür gesorgt, dass Steckersolargeräte aus der rechtlichen Grauzone gehoben und für die Steckdose offiziell zugelassen wurden.

Laudeley erzählt detailreich vom langen Kampf, in dem er sich für die Geräte eingesetzt hat. „Wir haben sie dazu gezwungen, die Regeln zu ändern“, sagt Laudeley zufrieden über die lange Auseinandersetzung mit dem Verband der Elektrotechnik (VDE). In dessen Richtlinien seien die Solargeräte jahrelang nicht vorgekommen. Im Mai 2018 gelang dann der wichtige Durchbruch: Die Steckersolargeräte wurden aus der rechtlichen Grauzone und in die Norm gehoben. Nun sei es erlaubt, einen Stromerzeuger per Stecker an einen Stromkreis anzuschließen, der eigentlich für Haushaltsgeräte gedacht sei.

Jahrelanger Prozess in Hamburg

In der Praxis bedeutet der Ausbruch aus der rechtlichen Grauzone jedoch nicht, dass die Nutzung der Steckersolargeräte vollständig rechtlich geklärt ist: Vor dem Landgericht Hamburg läuft dazu noch immer ein Verfahren. Der Ökostrom-Versorger Green Planet Energy hatte versucht, ein solches Gerät beim Stromnetz Hamburg anzumelden, bekam jedoch eine Absage aus Sicherheitsgründen. Der Betrieb des Solarmoduls stehe „im Widerspruch zu den in Deutschland anerkannten Regeln der Technik“, argumentiert Stromnetz Hamburg.

Dabei belegten mehrere Gutachten, dass das Modul sicher angeschlossen werden könne. „Wir wollen feststellen lassen, ob Stromnetz Hamburg überhaupt befugt ist, uns den Betrieb des Solarmoduls im eigenen Hausnetz zu untersagen, da die Zuständigkeit des Netzbetreibers am Anschlusspunkt endet und von diesem 150-Watt-Modul keine Rückwirkung ins Versorgungsnetz erfolgt“, sagt Michael Friedrich, Pressesprecher von Green Planet Energy. Daher habe der Energieversorger über eine Anwaltskanzlei Klage eingereicht.

Der Beginn des Verfahrens liegt mittlerweile mehr als fünf Jahre zurück. Green Planet Energy hieß damals noch Greenpeace Energy. Aufgrund einiger Zwischenentscheidungen ist die Ökoenergiegenossenschaft aber optimistisch: „Prinzipiell dürfen Module an ein Hausnetz angeschlossen werden“, sagt Friedrich. Lediglich ungeklärt sei noch, welche Art von Stecker verwendet werden darf.

Das ist für viele eine gute Nachricht: In einer Umfrage des Civey-Instituts im Auftrag von Green Planet Energy gab ein Großteil der Befragten im August dieses Jahres an, dass für sie der bürokratische Aufwand gegen die Anschaffung eines Steckersolargeräts spreche. Auch Befragte, die bereits ein solches Modul installierten hatte, nannten bürokratische Hürden als Problem. Die Mehrheit dieser Personen hätte daher auf die eigentlich erforderliche Anmeldung verzichtet.

Diese Reaktion erlebt auch Weyres-Borchert in seiner täglichen Arbeit: „Die meisten Nut­ze­r:in­nen dieser Geräte gehen nicht mehr den bürokratischen Weg, den man offiziell gehen müsste“, berichtet der Energieberater. „Nach unser Kenntnis betreiben mindestens 90 Prozent der Be­sit­ze­r:in­nen ihr Steckersolargerät, ohne es anzumelden.“ So stellt sich dann auch die rechtliche Frage nach dem Steckertyp in der Realität nicht mehr.

Viele Nut­ze­r:in­nen melden ihr Gerät wegen der Bürokratie nicht an

Insgesamt ist das Interesse an Steckersolargeräten der Civey-Umfrage zufolge hoch. Demnach können sich 61 Prozent der Deutschen vorstellen, zu Hause ein solches Modul zu nutzen. Vor allem für Menschen mit geringem Einkommen biete es eine Möglichkeit, sich am Ausbau der Photovoltaik zu beteiligen.

Die meisten Menschen sind dabei überzeugt: An der Energiewende führt kein Weg vorbei, so das Ergebnis einer jüngsten Umfrage der Förderbank KfW. Doch bisher nutzen der KfW-Umfrage zufolge nur wenige Haushalte Technologien, die zur Energiewende beitragen. Zwei Tendenzen zeigen sich bei der Umfrage: Einerseits gibt es ein Süd-Nord-Gefälle. Demnach werden die technischen Möglichkeiten im Norden tendenziell weniger genutzt als im Süden. Weiterhin hänge die Verwendung auch mit dem zur Verfügung stehenden Geld zusammen. So würden Haushalten mit geringerem Einkommen Technologien der Energiewende seltener nutzen als wohlhabendere Haushalte.

Einfaches Vergütungs­modell gefordert

Doch gerade Haushalte mit niedrigem Einkommen hätten ein besonders ausgeprägtes Interesse, um der finanziellen Belastung durch steigende Strom- und Heizkosten zu begegnen, schreiben die Au­to­r:in­nen der KfW-Studie. Das gilt angesichts der gegenwärtig global stark angestiegenen Marktpreise. Auch sie kritisieren Hindernisse, vor allem in Form von Investitionskosten und bürokratischen Hürden. Green Planet Energy fordert deshalb klare und sachgerechte Standards für die Installation der Module, die unnötige Hürden ohne Verlust an Sicherheit abbauen könnten.

Auch aus Sicht von Bernhard Weyres-Borchert ist klar, dass die Nutzung von Solarmodulen attraktiver und unbürokratischer werden muss. Er hat eine einfache Lösung: „Im Prinzip könnte man für das ganze Jahr bilanzieren, was man dem Netz entnommen und was man eingespeist hat.“ Net-Metering nennt sich dieses Modell zur Vergütung von Strom aus kleinen Photovoltaik- oder Windanlagen. Nach dem Konzept müssen Verbraucher nur noch die Differenz bezahlen, die zwischen dem selbst eingespeisten Strom einerseits und dem aus dem Netz bezogenen Strom andererseits entsteht.

Das wäre ein deutlich einfacheres System für die Nut­ze­r:in­nen von Steckersolargeräten. Doch noch ist die Installation von Aufwand und Unklarheit gekennzeichnet – wenn man sich denn an die formellen Regeln hält.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen