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Ein Krieg der Juden

Kurz vor der Schoah wirbt Wladimir Ze’ev Jabotinsky für einen jüdischen Staat und eine eigene Armee. „Die jüdische Kriegsfront“ von 1940 liegt erstmals auf Deutsch vor

Von Jens Uthoff

Ungefähr zur gleichen Zeit, in der Wladimir Ze’ev Jabotinsky seine Vorstellungen eines jüdischen Staats und einer jüdischen Armee zu Papier bringt, in den ersten Monaten des Jahres 1940, wird bei Heinrich Himmler und der SS-Führung Auschwitz zum Bau eines neuen Konzentrationslagers in Erwägung gezogen. Kurz darauf entstehen Auschwitz I und Auschwitz II, das Vernichtungslager in Birkenau. Als erstes Tötungszentrum wird schon im Dezember 1941 Chelmno (Kulmhof) „in Betrieb genommen“.

Kurz vor der Schoah hatte Jabotinsky sehr konkrete (real-)politische Ideen, wie der drohenden Vernichtung der Juden in Mittel- und Osteuropa zu begegnen sei. In „The Jewish War Front“ schrieb er sie nieder, das Buch liegt nun zum ersten Mal auf Deutsch vor. Jabotinsky war Mitgründer des revisionis­tischen Zionismus, einer bürgerlichen und antisozialistischen Strömung des Zionismus, und er war einer der wichtigsten Befürworter einer eigenen jüdischen Armee. Nach Fertigstellung des Buchs ging er in die USA, um für sein politisches Programm zu werben, doch im August 1940 starb er in New York im Alter von 59 Jahren an einem Herzinfarkt.

In „Die jüdische Kriegsfront“ beschäftigt er sich zunächst mit der Genese des Antisemitismus und warum dieser eine entscheidende Triebfeder der nationalsozialistischen Propaganda war, zentral in diesem Buch aber sind die jüdischen Kriegsziele: Ein eigener jüdischer Staat müsse geschaffen werden, eine Heimstatt für das bedrohte Volk. Jabotinsky führt aus, warum Palästina der einzige Ort ist, „in dem dieses Projekt realistischerweise verwirklicht werden kann“. Auch wie eine jüdische Armee zu re­kru­tieren sei, dafür erstellt er hier einen Plan.

Geboren und aufgewachsen ist Jabotinsky in Odessa, er verschrieb sich schon in jungen Jahren der Agenda von Theodor Herzl und engagierte sich fortan in verschiedenen zionistischen Organisationen. Während des Ersten Weltkriegs half er bei der Schaffung der Jüdischen Legion mit – jüdische Freiwillige, die die British Army im Kampf gegen die osmanische Armee unterstützten. Jabotinsky lebte und arbeitete unter anderem in London und Jerusalem, er arbeitete als Journalist und zionistischer Aktivist.

Vladimir Ze’ev Jabotinsky: „Die jüdische Kriegsfront“. Aus dem Englischen von L. Fischer. ça ira Verlag, Freiburg/Wien 2021, 256 S., 26 Euro

Jabotinsky ist zutiefst davon überzeugt, dass es auch nun eine jüdische Armee braucht, um die Alliierten zu unterstützen; mindestens 100.000 Mann soll sie haben, er rechnet vor, dass potenziell 6 Millionen Männer dafür bereitstünden. „Die Bildung und der Einsatz einer jüdischen Armee würde dem bösartigen Argument den Garaus machen, dass der Krieg zwar im Interesse der Juden gefochten werde, die Juden selbst aber an sämtlichen Fronten durch Abwesenheit glänzen“, argumentiert er. „[Es ist] ebenso sehr der Krieg der Juden wie der Großbritanniens, Frankreichs oder Polens.“

Die Schaffung eines jüdischen Staats sieht er als ebenso unerlässlich an, er verweist noch einmal auf die Évian-Konferenz von 1938 und die fehlende Bereitschaft, jüdische Flüchtlinge aufzunehmen („Niemand will den jüdischen Streuner aufnehmen“). Jabotinsky kalkuliert minutiös durch, wie der Exodus aussehen muss, welche Gebiete infrage kommen und welche nicht. Es gibt zum Beispiel Überlegungen, Juden in Britisch-Guyana und Westaustralien anzusiedeln, am Ende aber bliebe immer Palästina erste Wahl – oder eben „Fata-Morgana-Land“. Er zitiert auch der Plan der Revisionisten für Palästina aus dem Jahr 1934, der die Gleichberechtigung der arabischen und jüdischen Bevölkerung sowie die Definition der Altstadt von Jerusalem als exterritoriales Gebiet vorsieht.

Auch die Ausführungen zum Antisemitismus (er unterscheidet zwischen „subjektivem“ und „objektivem“ Antisemitismus) sind unbedingt lesenswert. Und was Wladimir Ze’ev Jabotinsky über Judenhass in Deutschland schreibt, sollte sich kurz darauf aufs Grausamste bestätigen: „Der Antisemitismus hat in Deutschland eine lange und organische Geschichte. Gewiss gibt es ihn nicht nur dort, aber in keinem anderen Land sitzt er so tief.“

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