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Durchgangsstadium Buch

In dem Roman „Die rechtschaffenen Mörder“ von Ingo Schulze geht es um die Anfälligkeit für rechte Ideologie. Am Schauspiel Dresden von Claudia Bauer inszeniert

Alle Akteure erscheinen in langen Ballkleidern, Puppenköpfe machen die Figuren austauschbar Foto: Sebastian Hoppe

Von Michael Bartsch

Darf man von der Bühnenfassung einer literarischen Vorlage einen Mehrwert, zumindest eine sinnliche Anreicherung erwarten? Einen Gewinn, der den Vergleich mit dem Original erübrigt? Mit dem tatsächlichen oder gefühlten Mangel an neuen dramatischen Stoffen stellt sich diese Frage häufiger. Wozu lohnte es sonst den Aufwand einer Inszenierung? Schwindet die Imaginationskraft von Lesern?

Um den Archetyp eines besessenen Lesers geht es in Ingo Schulzes „Die rechtschaffenen Mörder“, 2020 für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert. Das wenig geliebte Halbwaisenkind Norbert findet seine Erfüllung in der Bücherlektüre, später in der antiquarischen Vermittlung des Erkenntnisträgers Buch an Interessenten. Der Beginn der Allesvielbesserzeit nach 1989 wirft Paulini aber aus der Bahn. Die Brüder und Schwestern aus dem Westen enteignen fleißig und verspotten den unökonomischen Idealismus der Ossis. Ob der frustrierte Paulini in der jüngsten Vergangenheit wirklich zum Rechtsextremisten mutiert, behauptet der Roman nicht ausdrücklich.

Verwirrende Zeitsprünge

Die renommierte Regisseurin Claudia Bauer aber nimmt dieses Finale zum Ausgangspunkt ihrer eigenwilligen und distanzierten Arbeit. Sie steigt mit dem späten Verhör Paulinis durch zwei Kriminalbeamte ein. Deckt der Vater die Neonazi-Umtriebe seines Sohnes Julian am „Führergeburtstag“ 20. April? Die gekonnte Doppelbödigkeit des Autors lässt das im Roman offen.

An Zeitsprünge muss man sich in der Bühnenfassung noch häufiger gewöhnen. Vom linearen Entwicklungsroman zumindest im ersten Teil bleibt nicht viel. Die Verwirrung zu lindern, werden Jahreszahlen eingeblendet. Was bleibt, sind zahlreiche markante Sentenzen Ingo Schulzes, die seine Hauptfigur Norbert Paulini wohl ebenfalls mit Bleistift angestrichen hätte. Pointiertes über den Literaturbetrieb, den Sieg des Kommerzes über den Geist nach 1990, auch die späte Selbstverneinung Paulinis, man müsse über das Durchgangsstadium Buch zum eigentlichen Leben finden. Die Textauswahl war also von sicherem Instinkt geleitet.

So weit die Werktreue. An der symbolisch aufgeladenen bis überladenen, verfremdeten bis surrealen Dresdner Romanverstückung Claudia Bauers aber hat man zu kauen. Alle Akteure erscheinen zunächst durchgegendert in langen Ballkleidern. Nicht genug, Puppenköpfe mit langen Pinocchio-Nasen machen die Figuren austauschbar. Ihren Text sprechen andere, als habe man damals auch als Kunde des Antiquars nicht gesagt, was man eigentlich sagen wollte.

Ist das inspiriert vom märchenhaften Einstieg Schulzes oder Spott auf die hedonistische, zugleich elitäre Dresdner Boheme in den 1970er und 80er Jahren und ihre geistvollen bis wilden Feste? Also jene Zeit, in der Paulinis Antiquariat zu einer festen Institution dieser Szene aufsteigt?

Der zwar holzfarbene, aber nüchterne riesige Bühnenraum vermittelt die gegenteilige Atmosphäre eines intimen Antiquariats. Man sieht auch kein einziges Buch. Der kleine Norbert aber sieht seine Lektüren in einem symbolisch verrätselten Turm aus beweglichen Lichtern, als er die Welt der Literatur entdeckt.

Was bleibt, sind zahlreiche markante Sentenzen Ingo Schulzes, Pointiertes über den Literaturbetrieb

Bei Claudia Bauer rückt nicht Paulini in den Mittelpunkt der Inszenierung, sondern der sich selbst kommentierende Autor „Schultze“ aus dem zweiten Romanteil. Moritz Kienemann meistert diese Aufgabe ständiger Präsenz mit vehementem Einsatz. In Torsten Ranfts Antiquar aber erkennt man schwerlich den charismatischen Intellektuellen, noch weniger Nietzsches viel zitierten „Prinzen Vogelfrei“. Es scheint, als habe die Regie auch ihn nicht ernst genommen.

Dafür erheitern Nebensächlichkeiten wie das Essen mit Stäbchen das Publikum. Peinlich geradezu, wie Hauseigentümerin Kate den Enteignungsbescheid westdeutscher Restitutionsgewinner lustig im Suff ertränkt und dabei stirbt. Zur Manie gerät der omnipräsente Videoeinsatz, der in vielen Situationen aufgesetzt und ästhetisch wenig bereichernd erscheint.

Mehr als eine illustrative Klangkulisse bieten die hörenswerten Sänger von Auditiv­vokal Dresden. Teils in klassischer Harmonik, teils gekonnt dissonant schaffen sie permanent eine schwebende, fragende, unaufgelöste Sphäre.

Ingo Schulze schildert im Buch nicht nur einen Modellfall der Resilienz in Umbruchzeiten. Er bietet auf subtile Weise auch eine Erklärung für die besondere Anfälligkeit Ost gegenüber rechten Ideologien auf der Suche nach bleibenden Werten an. Davon spürt man in Dresden unter aller versuchter Ästhetisierung wenig. Man ertappt sich vielmehr bei der Frage, wie viele Buchseiten man während der 140 Minuten Spieldauer zu lesen geschafft hätte.

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