: „Sie hat in die Zukunft gesehen“
Zufit Simon tanzt in Braunschweig radikalen Feminismus. Bezugspunkte sind das Leben von Shulamith Firestone und ihre Ideen aus „The Dialectic of Sex“
Do, 21. 10., bis Sa, 23. 10., 20 Uhr, LOT-Theater, Braunschweig
Interview Benno Schirrmeister
taz: Frau Simon, wie tanzen Sie Theorie?
Zufit Simon: Ich tanze keine Theorie. Ich verkörpere eine Idee. Dafür greift mein Tanz verschiedene Informationen und Details auf, die sich zu Bildern zusammenfügen. Er ist also selbst eine Suche nach dramaturgischen Möglichkeiten. Ich beziehe mich dabei auch auf Schulamith Firestones Biografie und ihre Psychiatrie-Erfahrungen …
… also greifen Sie auf die Short Stories zurück?
Ja, auch. Aber ich tanze nicht ihre Geschichten. Mir geht es eher um die enge Verbindung der wirklich radikalen Ideen, die sie in „The Dialectic of Sex“ entwickelt und ihrem Leben. Ihr Schreiben und ihr Leben sind sehr eng miteinander verwoben.
Aber sie tritt doch mit dem Anspruch auf, eine vom eigenen Erfahren abgehobene Theorie zu formulieren?!
Ja. Aber ich denke nicht, dass das möglich ist. Es gibt immer Ereignisse und Erfahrungen, die etwas triggern, die Gedanken auslösen. Sie stammt zum Beispiel aus einer großen jüdischen Familie, …
… einer orthodoxen!
Genau, mit sechs Kindern. Und wie dieses konservative Judentum auf Frauen schaut, das ist sehr weit weg von den Vorstellungen, die Shulamith Firestone entwickelt: Sie hat ihre Familie schon sehr früh verlassen, um in die USA zum Studieren zu gehen, wo sie dann mit 25 Jahren dieses Buch veröffentlicht, in dem sie das Verhältnis der Geschlechter zueinander und zum Körper grundsätzlich neu bestimmt.
Sie sagt sogar, wir bräuchten eine Antikultur-Revolution, also weg mit den patriarchal-verseuchten Künsten.
Ich bin eher der Überzeugung, dass eine Änderung von innen möglich ist – und besser gelingen kann als von außen.
Aber verlangt nicht gerade Tanz eine Körperdisziplin, die der selbstverstümmelnden Unterwerfung unters Schönheitsideal nahekommt?
Das klassische Ballett auf jeden Fall! Die Technik zu haben, ist wichtig, aber jenseits davon interessiert mich diese Form nicht. Im zeitgenössischen Tanz gibt es diese Unterwerfung unter das Schönheitsideal so nicht. Es gibt manchmal den Mut zu einer Art Hässlichkeit, auch die Kostüme sind eher leger.
Was macht Firestone aktuell?
Gerade in den letzten Jahren hat die Diskussion über die Bedeutung körperlicher und sozialer Unterschiede zugenommen. Firestone hat hier auf irgendeine Art in die Zukunft gesehen, etwa wenn sie fragt, wie Geschlecht und Reproduktion voneinander entkoppelt werden können, und die Vorstellung von einer künstlichen Gebärmutter entwickelt, in der Babys heranreifen – damit Frauen sich aus der traditionellen Mutterrolle befreien können. Ich teile ihre Vorstellungen da. nicht. Aber sie faszinieren mich.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen