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Archiv-Artikel

Schicksal. Fado. Stolz

HALBFINALE Es war für Spanien die härteste Probe seit Jahren. Doch der irrsinnige Aufwand von Portugals Mittelfeld und Verteidigung wurde nicht belohnt. Trainer Bento ist dennoch begeistert von seiner Mannschaft

Wann hat man zuletzt eine Mannschaft gesehen, der es gelingt, die spanischen Passmonster von der eigenen Hälfte fernzuhalten, einfach weil sie selbst immer wieder Angriffe initiiert?

AUS DONEZK ANDREAS RÜTTENAUER

Mit offenem Mund stand er im Mittelkreis. Die Hose hatte er gerafft. Ein wenig sah sie aus wie eine Windel. Nein, Cristiano Ronaldo hatte sich nicht in die Hose gemacht. Er wäre bereit gewesen. Für den fünften Elfmeter im Wettschießen um den Einzug ins Endspiel war er vorgesehen.

Doch er durfte nicht mehr ran. Nach Cesc Fabregas, dem fünften spanischen Schützen, war das Spiel entschieden. Es war aus. Fabio Coentrao weinte beinahe hemmungslos, andere aus der Mannschaft brachen in sich zusammen, konnten sich nicht mehr auf den Beinen halten. Cristiano Ronaldo stand weiter mit offenem Mund im Mittelkreis des Stadions von Donezk. Das war knapp, schien er zu denken. Viel hat er nach dem Spiel nicht gesagt, ein Wort aber immer wieder: „Ungerecht, ungerecht, ungerecht.“

Er war es, der das Spiel in 120 Minuten nicht für Portugal entscheiden konnte, obwohl ihm anzusehen war, dass er genau das vorhatte. Ein paar schöne Ablagen, ein paar sehenswerte Sprints, ein paar nicht so gute Freistöße, ein sehr guter und diese eine Szene, in der er freie Schussbahn hatte und das Tor nicht traf. Aus. Vorbei.

„In den ersten 90 Minuten waren wir die bessere Mannschaft“, hat der portugiesischen Trainer Paulo Bento gesagt. „Wir haben das Spiel kontrolliert und waren die schnellere Mannschaft.“ Recht hat er. Die irrsinnige Innenverteidigung mit Pepe und Bruno Alves, das irrsinnig laufstarke Mittelfeld mit Joao Moutinhou und Raul Meireles haben mir ihrer Präsenz dazu beigetragen, dass die Spanier so viele Fehlpässe geschlagen haben, wie man es schon lange nicht mehr gesehen hat.

Wann hat man in den letzten Jahren eine Mannschaft gesehen, die gegen Spanien so weit vorne verteidigt, der es gelingt, die Passmonster von der eigenen Hälfte fernzuhalten, einfach weil sie selbst immer wieder versucht, Angriffe zu initiieren? Und doch konnte Cristiano Ronaldo das Spiel nicht gewinnen. 0:0 nach 120 Minuten, nach 90 starken portugiesischen Minuten, nach einer halben Stunde Verlängerung, über die sich Bentos Mannschaft, das hat er selbst so gesehen, gerade noch einmal so hinübergerettet hat.

Und dann das „ungerechte“ Elfmeterschießen. Reine Glückssache, wie Spaniens cooler Schütze Sergio Ramos und dessen Trainer Vicente del Bosque meinten. Paulo Bento, dieser immer so ernste Mann, wollte das nicht so sehen. Er hatte Respekt vor den Siegern. „Die haben ihre Elfmeter einfach besser geschossen“, sagte er. Glück, Pech. In diesem Moment sei das nicht so entscheidend gewesen. Aber insgesamt im Turnier habe das Schicksal die Portugiesen benachteiligt. Fünfmal hätten seine Spieler den Pfosten getroffen in diesen Tagen in der Ukraine und Polen. Im Elfmeterschießen war es Bruno Alves, der gegen den Balken schoss. Und so war sein letztes Statement bei diesem Turnier von einer typisch portugiesischen Traurigkeit geprägt, die ansteckend wirkte: Das Schicksal hat es wieder einmal allzu schlecht gemeint mit dem geschundenen, kleinen Land. Fado.

Doch die Traurigkeit konnte Bento nicht den Stolz auf seine Mannschaft nehmen. Der Trainer sprach von einem „fantastischen Turnier“, das seine Mannschaft abgeliefert habe. „Wir haben gezeigt, dass wir mit jeder Mannschaft auf jedem Niveau mithalten können.“ Das nimmt er aus dem Turnier mit – zu recht.

Jede Diskussion, ob das Elfmeterschießen besser hätte laufen können, wenn er Cristiano Ronaldo nicht erst als fünften Schützen vorgesehen hätte, wehrte er ab. „Wir haben das so festgelegt, weil wir wussten, dass wir fünf gute Schützen haben.“ Festgelegt war auch die Reihenfolge der anderen Schützen. Als dritter sollte Nani schießen, als vierter Bruno Alves. Der nahm sich jedoch zu früh den Ball, marschierte zum Elfmeterpunkt und wurde von Nani, der ihm hinterhergerannt kam, wieder in dem Mittelkreis geschickt. Alves war ja erst nach Nani dran. Er hat dann verschossen.

Cristiano Ronaldo stand im Mittelkreis und raufte sich die Haare, als er sah, was seine Mitspieler da abgezogen haben. War das die entscheidende Szene? Paulo Bento kann sich das durchaus vorstellen. Hätte Nani den voreiligen Alves einfach machen lassen sollen? Dazu wollte Bento nichts sagen. Schicksal. Fado.