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„Größte Krise desdeutschen Sports“

Dagmar Freitag, die Sportausschussvorsitzende des Bundestags, verabschiedet sich. Sie sieht den organisierten Sport vor gewaltigen Aufgaben

Eine kleine Ära geht zu Ende. Als Sportausschussvorsitzende des Bundestages war Dagmar Freitag zwölf Jahre lang tätig. In dieser Zeit ist sie häufig auch als Kritikerin von Fehlentwicklungen im organisierten Sport aufgefallen. Besonders viele Reibungspunkte hatte die SPD-Politikerin mit dem Deutschen Olympischen Sportbund unter der Führung von Präsident Alfons Hörmann. „Im Spitzensport haben wir einen beispiellosen Niedergang des Renommees des Dachverbandes DOSB erleben müssen“, lautet ein Fazit ihrer Amtszeit, die mit dem Ausscheiden aus dem Bundestag nach fast 27 Jahren endet.

Die 68-jährige Lehrerin aus Iserlohn verabschiedet sich aber nicht, ohne nicht noch weitere Kritik zu üben. Zum Beispiel sehe sie die Reform des Spitzensports zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht als gescheitert an, doch sei die zwingend notwendige Erneuerung vom DOSB „verschleppt“ worden. Dabei hat der Bund die Sportförderung von 133 Millionen Euro vor zehn Jahren auf 293 Millionen Euro erhöht.

Sie liest aber auch den Verbänden die Leviten, von denen eine Reihe die Potenzialanalyse (PotAS) kritisiert hatten, die eine Bewertung der Potenziale in den olympischen Disziplinen ermöglicht und Basis für die Verteilung der Fördergelder ist. „Kritik kommt vor allem von denen, die aufgrund erkannter Defizite im PotAS-Ranking schlecht abgeschnitten haben“, sagte Freitag. Tatsächlich würde die PotAS-Analyse nun „ungeschminkt“ in Finanzierungszusagen umgesetzt. Nach der schlechtesten Bilanz bei den Olympischen Spielen in Tokio seit der Wiedervereinigung sei aber auch klar, dass „mehr Geld“ nicht „mehr Medaillen“ bedeute.

Die Coronakrise hat auch den deutschen Sport arg in die Bredouille gebracht. Aber „die vom DOSB prognostizierten Katastrophenszenarien“ von einer „flächendeckenden Flucht der Vereinsmitglieder“ hat sich nach Ansicht von Freitag nicht bestätigt. Einen Seitenhieb beim Pandemiethema bekommt auch Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ab. „Allein aus gesundheitspolitischen Erwägungen“ habe sie erwartet, dass ihr Koalitionskollege mit dem DOSB eine Kampagne zur Unterstützung der Sportvereine auflegt: „Leider Fehlanzeige“.

Hauptkontrahent in den vergangen Jahren war jedoch DOSB-Chef Hörmann, der nach dem anonymen Vorwurf von Mitarbeitern des Dachverbands, ein „Klima der Angst“ geschaffen zu haben, im Dezember nicht zur Wiederwahl antritt. Auch Freitag fand den Umgang mit ihm oft grenzwertig und sieht den Führungswechsel als Chance für einen Neuanfang. „Allerdings kann man nicht alle Versäumnisse und Fehlentwicklungen nur einer Person anlasten“, betonte Freitag. Auch andere Präsidiumsmitglieder und der hauptamtliche Vorstand müssten sich fragen, „welchen Anteil sie an der größten Krise des deutschen Sports haben“.

Zugleich plädiert sie für eine Neuaufstellung des Sports, der bislang im Bundesinnenministerium angesiedelt ist. „Es kann Sinn machen, dem Sport auf Bundesebene ein eigenes Standbein zu geben“, sagte sie, „beispielsweise durch einen Staatsminister. Das gibt es ja für die Kultur.“

Die Verantwortung für den Sport sei fragmentiert. Wie lange politische Mühlen mahlen, erlebte sie bei ihrem Engagement für ein Anti-Doping-Gesetz, für dessen Inkrafttreten 2015 auch sie votierte. Zu ihren politischen Erfolgen zählt auch die Etablierung des Vereins Athleten Deutschland, mit dem die Interessenvertretung der Sportler professionalisiert wurde. (taz, dpa)

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