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Das wohltemperierte Quartier

Der Klimawandel bringt künftig verstärkt Hitze und Trockenheit, aber auch enorm viel Regen. Beides macht vor allem in den Städten schwer zu schaffen. Dagegen geht man in Leipzig und Wien mit intelligentem Wassermanagement, viel Grün und Hightech an

Von Lars Klaaßen

Auch Reifenabrieb ist im Städtebau ein heißes Thema, jedenfalls für das Quartier Leipzig 416. Wo einst ein Bahnhof stand, wird nun ein komplett neues Stadtviertel gebaut. Auf 25 Hektar sollen rund 2.100 Wohnungen entstehen. 68 Prozent der Bruttogeschossfläche sind dafür vorgesehen, 28 Prozent für Gewerbe und vier Prozent können künftig flexibel genutzt werden. „Durch den Klimawandel stehen wir bei der Planung vor Aufgaben, die in unseren Breiten neuartig sind“, sagt Roland Arno Müller. „Einerseits ist künftig mit sehr heißen Dürreperioden zu rechnen, andererseits mit immer wiederkehrendem Starkregen.“ Der Wissenschaftler vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) leitet ein Forschungsprojekt, das einen Prototypen für klimaangepasstes Wasser- und Energiemanagement am Beispiel des Quartiers Leipzig 416 entwickelt – gemeinsam mit der Stadt Leipzig, dem Investor, Wirtschaftsunternehmen und weiteren wissenschaftlichen Institutionen. Damit wird in Leipzig auch ganz konkret in die Praxis umgesetzt, was die am 8. Juni 2021 vorgestellte Nationale Wasserstrategie der Bundesregierung zum Ziel hat: die Wasserversorgung für Mensch und Umwelt in ausreichender Menge und notwendiger Qualität auch noch im Jahr 2050 zu sichern.

Starkregen, der künftig über dem Quartier niedergeht, wird nicht über die Kanalisation abgeleitet. Aufgefangen wird der Regen in verschiedenen dezentralen Infrastrukturen wie Mulden und Rigolen, unter der Geländeoberfläche angeordnete Auffangbecken, aus denen Regenwasser versickert, wenn die Speicherkapazitäten an ihre Grenzen stoßen. Oberirdisch wird das Wasser etwa über einen mit Kies gefüllten Graben dorthin geleitet. Neu sind sogenannte BlauGrüne Infrastrukturen wie Gründächer oder Baumrigolen in Kombination mit schattenspendenden Bäumen und Grünflächen, die ebenfalls als Wasserspeicher fungieren, aber etwa durch die Verdunstungskälte auch positiv auf das Mikroklima wirken. Dies entlastet die städtische Infrastruktur für Abwasser.

Was an Regenwasser im Quartier verbleibt, kann somit in heißen Dürreperioden gezielt genutzt werden, um Grünflächen zu bewässern, das ganze Quartier oder auch einzelne Gebäude zu kühlen. Bepflanzung spielt hierbei eine wichtige Rolle. Der Anteil an Grünflächen, in denen Regenwasser versickern kann, ist im Quartier laut Planungsstand überdurchschnittlich hoch. Auch die Flachdächer der Häuser sollen begrünt werden. Dort gespeichertes Wasser kühlt das Gebäude im Sommer und versorgt bei Trockenheit zudem die Pflanzen. Hierfür kommen verschiedene Ansätze mit Blick auf Nutzen und Kosten in Betracht. Der Einsatz in der Praxis wird wissenschaftlich ausgewertet.

„Wir können das Regenwasser von der Straße nicht einfach weiterverwenden“, sagt Müller. „Denn darin können Schadstoffe aber auch Mikroplastik vorhanden sein, das vom Reifenabrieb der dort passierenden Fahrzeuge stammt.“ Deshalb muss das Wasser vor der Speicherung behandelt werden. Welche Methoden sich dafür am besten eignen – auch unter Kostenaspekten –, ist eine weitere der vielen Fragen, die das Forschungsprojekt beantworten soll. Das Quartier Leipzig 416 entsteht komplett vom Reißbrett. So können hier in vielerlei Hinsicht ganz neue Wege beschritten werden. „Im Bestand hingegen, der uns natürlich ebenso interessiert, kommt es schnell zu Nutzungskonflikten“, so Müller. „Doch auch dort kann man die Stadt durch BlauGrüne Infrastrukturen so umbauen, dass die Folgen des Klimawandels abgefedert werden.“ Die Wissenschaftler haben für das Umweltbundesamt ein an das Quartier Leipzig 416 angrenzendes Stadtviertel daraufhin untersucht. Luftbildaufnahmen zeigen, dass Innenhöfe und Dächer durch BlauGrüne Infrastrukturen gezielt begrünt werden könnten, um Regenwasser aufzufangen oder versickern zu lassen.

„Die Kühlung unserer Städte ist nicht allein eine Frage der Stadtplanung“, sagt Sebastian G. Nitsch, CEO des Immobilienentwicklers 6B47. „Der Stellenwert, den früher die Heizungsanlage innerhalb der Haustechnik eingenommen hat, kommt nun auch der Kühlung zu.“ Entwickler jedes einzelnen Immobilienprojekts müssten sich fragen, mit welchen Ansätzen sie einen größtmöglichen Erfolg bei gleichzeitig erschwinglichen Kosten und vor allem bei geringem Energieverbrauch erhalten: „Die Wärme des Sommers und die Kälte des Winters kann etwa durch Sonden 100 Meter tief im Erdreich gespeichert werden.“ Das System funktioniert unter anderem mit Photovoltaikanlagen, aber auch mit der Abwärme von energieverbrauchenden Geräten – verbunden mit einer Wärmepumpe. „Bislang stehen diese vielversprechenden Ansätze aber noch am Anfang“, so Nitsch.

In der österreichischen Hauptstadt ist man damit schon weiter – wiederum auf der Quartiersebene: Wien Energie betreibt ein über 19 Kilometer langes Fernkältenetz und versorgt über 140 Gebäude mit umweltfreundlicher Klimatisierung. Fernkälte wird in eigenen Zentralen produziert, in Form von kaltem Wasser. Als Antriebsenergie dient neben Strom auch Wärme, im Sommer vor allem Abwärme aus den Müllverbrennungsanlagen.

„So wie der Wiener Müll im Winter der Stadt einheizt, so kühlt er sie also auch im Sommer“, erläutert Lisa Sophie Grohs, Sprecherin der Wien Energie. „Die Nutzung dieser vorhandenen Energie ist besonders effizient.“ Über das Netz wird das auf etwa 5 bis 6 Grad Celsius abgekühlte Wasser direkt zu den Abnehmern transportiert und dort über hauseigene Kühlsysteme verteilt. Dabei, so Grohs, könne es sich etwa um Rohre in den Betonwänden eines Gebäudes (Bauteilaktivierung) oder auch um Gebläsekonvektoren (Fan Coils) in den Räumen handeln. Das Wasser nimmt die Wärme aus dem jeweiligen Gebäude auf und transportiert sie ab. Auch die Rückkühlung geschieht zentral, zum Beispiel über Flusswasser.

Regenwasser im Quartier für heiße Dürreperioden speichern

Wien Energie hat heute 130 Me­ga­watt installierter Kälteleistung. „Der Bedarf steigt jedes Jahr um 10 bis 15 Prozent“, sagt Grohs. „Gerade im dicht verbauten Stadtzentrum ist Fernkälte gefragt.“ Das hat mehrere Gründe: Herkömmliche Klimaanlagen verbrauchen nicht bloß mehr Energie, sie benötigen auch deutlich mehr Platz. Außerdem müssen für sie Rückkühler am Dach errichtet werden, die oft dem Denkmalschutz widersprechen, die durch Abwärme die Umgebung erhitzen – und die nicht zuletzt Grünpflanzen oder etwaigen Photovoltaikanlagen den Raum streitig machen. Fernkälte ist dort besonders sinnvoll, wo sie ganzjährig oder vollflächig genutzt werden kann.

Deshalb liegt der Fokus des Netzausbaus bislang auf Krankenhäusern, Hotels und Büros – wo Labore, Großküchen und Rechenzentren betrieben werden. Im Winter werden dort insgesamt rund 8 bis 10 Prozent der Kühlleistung vom Sommerbetrieb benötigt.

2018 wurden mit dem Althanpark erstmals auch Privatwohnungen an das Fernkältenetz angeschlossen. Wien Energie liefert das kalte Wasser bis zur Übergabestation im von 6B47 neu gebauten Komplex. „Die Aufteilung auf die verschiedenen Wohnungen und deren Steuerung“, so Nitsch, „erfolgt über das hauseigene Kühlsystem.“ Solche Installationen im Wohnbau sind sehr komplex. „Für den Einbau von Fernkälte ist im Haus und in den einzelnen Wohnungen ein entsprechendes Lüftungs- oder Kühlsystem notwendig“, erläutert Grohs. Eine Nachrüstung im Bestand sei deshalb sehr schwierig.

Wien Energie setzt erste Projekte neben Neubau auch im Zuge von Kernsanierungen um. Dabei tendiert man zu Flächenkühlungen, wie Bauteilaktivierung, Fußboden- oder Deckenkühlung. Die Wohnungen sind dabei einzeln ansteuerbar. Mittlerweile versorgt Wien Energie mehrere Hundert Privatwohnungen mit klimafreundlicher Fernkälte.

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