crime scene
: Perfide morbide im alten Wien

Im Wien des ausgehenden 19. Jahrhunderts hat der Autor Oliver Pötzsch eine neue Krimiserie angesiedelt. Der erste Band, „Das Buch des Totengräbers“, spielt zu einem großen Teil auf dem Wiener Zentralfriedhof, der damals der größte Friedhof Europas war. Ein zugereister Ermittler ist Pötzschs Held: Polizeiinspektor Leopold von Herzfeldt ist soeben aus Graz nach Wien gezogen, spricht Hochdeutsch, ist zudem, wenngleich getauft, jüdischer Abstammung und manchen Kollegen all dieser Dinge wegen suspekt. Außerdem stürzt der Neue sich zu eifrig in die Arbeit. Die aber hat es in sich, denn in Wien geht ein Serienmörder um, der es auf junge Frauen abgesehen hat und seine Opfer nicht nur brutal tötet, sondern auch noch pfählt. Anderen Leichen werden die Köpfe entwendet, darunter einem Halbbruder des Walzerkönigs Johann Strauss, einem gewissen Bernhard Strauss, mit dessen perfide-morbider Beerdigung der Roman beginnt.

Viele Elemente des klassischen Schauerromans sind eingeflossen in dieses Buch. Man könnte sie „Klischees“ nennen, wenn Pötzsch nicht einen Ton träfe, der genau zwischen Ironie und genuinem historischen Interesse liegt. Die markanteste Figur, der titelgebende Totengräber, ist das größte Klischee von allen: bleich und dürr wie der Tod, erweist sich Augustin Roth­mayer als der wichtigste Helfer des anfänglich recht hochmütigen Leopold von Herzfeldt, verfügt der Totengräber doch über ein stupendes Wissen über alle Dinge, die tote Körper betreffen. Zweitwichtigste Co-Ermittlerin ist eine Frau, die zum einen als love interest des Helden fungiert. Zum anderen verdeutlicht der Roman mit ihrer Geschichte die quasi rechtlose Stellung, in der Frauen aus unterprivilegierten Schichten sich befanden, wenn sie ihren Lebensunterhalt selbst verdienen mussten.

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Oliver Pötzsch: „Das Buch des Totengräbers“. Ullstein, Berlin 2021. 440 S., 16,99 Euro

Oliver Pötzsch, Nachfahre einer einst traditionsreichen Henkersfamilie, ist versiert in der populärliterarischen Verarbeitung gewaltsamer Tode. Sein zeitgeschichtliches Interesse geht aber spürbar über den Gruselaspekt hinaus. Kleidung, Accessoires, Transportmittel und Interieurs werden liebevoll beschrieben; die technischen Neuerungen der Zeit – Telefone, Fotoapparate, Fahrräder – bringt der Autor so lustvoll wie listig ein. Den Verheißungen eines neuen Zeitalters mit der Aussicht auf mehr soziale Gerechtigkeit steht im Roman die ekelhafte Dekadenz der feudalen Klasse gegenüber, die hier in der sexuellen Ausbeutung kleiner Mädchen unter dem Deckmantel nationaler Kulturpflege gipfelt. Mit allzu scheußlichen Einzelheiten bleiben der geneigte Leser sowie die geneigte Leserin aber stets verschont. Pötzsch will nicht schockieren, sondern vor allem unterhalten. Und das klappt hier sehr gut. Katharina Granzin