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Ach, was für ein Fleisch

Vor 50 Jahren landete die Mango in Deutschland. Die Dschungelfrucht ist heute global ein Star. Es gibt über 1.000 Sorten – aber nur einen richtigen Weg, sie zu essen. Na gut, zwei

Kommt das Wort „mangiare“ womöglich von der Mango? Foto: getty images

Von Arno Frank

Mit schwarzer Schokolade hat die Mango gemein, dass nur Barbaren ihr Fruchtfleisch kauen. Es gehört auf die Zunge gelegt und am Gaumen zerdrückt, nur so entfaltet sich ein Aroma, das schon in den hin­duis­ti­schen Upanishaden besungen wird. Leider geht das nicht mit jeder Mango, denn Mango ist nicht gleich Mango. Weltweit gibt es über 1.000 Sorten, die in Deutschland populärste ist die Flugmango.

Lange hielt ich „Flugmango“ tatsächlich für eine bestimmte Sorte. Little did I know, und zwar über die Globalisierung. Auch davon kann die Mango erzählen, wenn man sie lässt.

Ich weiß nicht mehr, wann das angefangen hat mit meiner Leidenschaft für, meiner Liebe zur, meiner Gier nach der Mango. In der Jugend jedenfalls noch nicht. Da gab es zwar ein Eis am Stil namens Solero, aber die synthetische Nachahmung eines Geschmacks ist eben nicht der richtige Geschmack. Später war mir die Mango im Supermarkt immer zu teuer, auch zu fremd. Dann doch lieber ein paar Orangen, und ­fertig.

In Deutschland tauchte die Frucht überhaupt erst vor genau 50 Jahren auf, sie teilte sich in diesem Jahr mit der Kiwi den Rang einer exotischen Attraktion auf der Lebensmittelmesse Anuga. Abteilung: „Was es heute nicht alles gibt!“, Unterabteilung: „Und wie soll ich das jetzt essen?“ Schälen, schneiden, über den gewaltigen Kern staunen, in dem der Samen schlummert – zerdrücken, nicht kauen.

Dabei ist die Mango beinahe so alt wie der Apfel, ihr kasachischer Cousin. Sie kommt ursprünglich, wenn nicht doch aus Borneo, von den Hängen des Arakangebirges zwischen dem ostindischen Nagaland und Myanmar. Eine tropische Dschungelpflanze von einem tropischen Dschungelbaum, der inmitten einer Welt aus dampfendem Überfluss in starker Konkurrenz zu anderen starken Reizen steht.

Ich mag den Gedanken, wenn dieser Schlenker erlaubt ist, dass manche Pflanzen aus eigenem Antrieb eine Karriere machen.

Aloe Vera beispielsweise wuchs ursprünglich nur auf der eher abgelegenen jemenitischen Insel Sokotra. Aristoteles riet seinem Schüler, einem makedonischen Prinzen, die Insel zu besetzen und sich die Vorkommen der Kaktee zu sichern. Bei seinen folgenden Feldzügen führte der Grieche die Pflanze auf bewässerten Fuhrwerken immer mit sich – weil ihr Saft kleinere Blessuren seiner Soldaten heilte, von den Blasen an den Füßen bis zur Fleischwunde, an denen man damals infektionsbedingt meistens starb. Und so eroberte Alexander der Große zwar kurzfristig Asien, in seinem Schlepptau aber der unscheinbare Kaktus die Welt.

Was bei der Aloe Vera die Heilkraft, das ist bei der Mango der Geschmack.

Und das Fleisch. Weil es himmlisch schmeckt, wurde die Mango in Indien lange als „Himmelsfrucht“ und Kandidatin für das mythische Soma gehandelt, die Speise der Götter. Die ursprüngliche Mango mag nicht größer als eine Pflaume gewesen sein. Inzwischen gibt es gurkenförmige, schillernde, mattgrüne, bananengelbe, runde, knubbelige und glatte Mangos mit jeweils anderem Geschmack und Charakter.

Allein in Indien gezüchtet werden so seltene Exemplare wie die melonenförmige Retticola, die feste Iruttu oder Kalapadi mit ihrer dunkelgrünen Haut und dem orangefarbenen Fleisch. Karupatti Kai, selbst probiert, schmeckt nach unraffiniertem Zucker. Eine ebenfalls traditionelle Marke ist die Alphonso, benannt nach dem portugiesischen General und Kolonialgouverneur Afonso de Albuquerque, der im frühen 16. Jahrhundert eine besonders fleischige Variante bevorzugte. Verwendet wird die ergiebige und sonnenuntergangsfarbene Alphonso – als Exportschlager inzwischen überall angebaut, wo es heiß und feucht genug ist – für Sorbet, Eiscreme, ­Soufflé, Mousse oder Pürree.

Lange hielt ich „Flugmango“ tatsächlich für eine bestimmte Sorte

Ihren bizarrsten Auftritt in der Weltgeschichte hatte die Mango 1968. Der pakistanische Außenminister hatte Mao Tse-tung eine Kiste der süd­asia­ti­schen Früchte mitgebracht, und der „Große Vorsitzende“ verschenkte sie zum Ende des von ihm selbst initiierten „roten Terrors“. Es entwickelte sich ein landesweiter Kult um die bizarre Frucht, die in kleinen Schreinen herumgereicht wurde. Bisweilen musste es auch eine Attrappe aus Wachs sein. Damals war die Mango in China unbekannt, heute ist das Land der drittgrößte Produzent.

An der Spitze liegt mit einer Jahresproduktion von mehr als 25 Millionen Tonnen noch immer Indien, woher der Name kommt und wo die Mango als Rohstoff für den allgegenwärtigen Mango-Lassi dient – Erfrischungsgetränk auf Joghurtbasis in einem Land, dessen Trinkwasser leider nicht zu trauen ist. Am anderen Ende der Verarbeitungsskala wird Mango in der Haute Cuisine derzeit gern in karamellisierter Form serviert. Kann man machen.

Man kann allerdings auch im Supermarkt eine Mango kaufen. Dort steht sie, was Exotik und Preis betrifft, in direktem Wettbewerb mit ihrer wesentlich exaltierteren Schwester, der Ananas. Anders als die stachelige Ananas, die ihr allzu säurehaltiges Fruchtfleisch gewissermaßen mit Zähnen und Klauen verteidigt, ist die Mango eine verletzliche Frucht. Im Regal liegt sie häufig buchstäblich in Watte gepackt, umhüllt von Reizwäsche aus stoßdämpfendem Styropor. Es gibt sie für „schon 1,99“, taugt aber nichts. Wächsern und dick die Haut, faserig und wässrig das hellgelbe Fruchtfleisch. Wer eine Mango als Mango verspeisen möchte, darf dafür selten weniger als 5 Euro auf den Tisch legen. Dann hat er es mit einer empfindlich dünnhäutigen, dafür aber umso prachtvolleren Frucht zu tun. Über die Energiebilanz der Flugreisenden aus Marokko, Bangladesch oder Mexiko decke er aber besser den Styropormantel des Schweigens.

Die beste Mango meines Lebens verspeiste ich übrigens eher zufällig, aus Neugier in Jamaika. Dort liegen die Früchte im Herbst auf der Straße, schrumpelig und klein. Wo Kingston Town nicht nach Abgasen stinkt, stinkt es süß nach der allerorts verrottenden Frucht. Ein halbwegs erhaltenes Exem­plar nahm ich aus dem Rinnstein und mit ins Hotel. Dort machte ich mich mit einem Taschenmesser daran zu schaffen.

Das Fleisch war von hellem Orange und fester, als es mir normalerweise lieb ist. Ich konnte es nicht lutschen, wie sonst, sondern zerkaute es – zusammen mit einem Stück schwarzer Schokolade. Das Ergebnis war der einzige Achttausender kulinarischer Erleuchtung, den ich in meinem Leben bisher besteigen durfte. Ich war, buchstäblich, darüber gestolpert.

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