berliner szenen
: Der tägliche Horror der anderen

An einem Mittwochabend versuche ich an einem Tisch vor einem Supermarkt in meiner Nähe einen Auftragstext fertigzustellen. Dabei tue ich mir ein klein wenig selbst leid: Ich bin angeschlagen und würde viel lieber schlafen. Doch es ist eine laue Nacht und ich bin nicht die Einzige, die dort nach der Schließzeit des Supermarkts noch sitzt. Vor mir nutzen ein paar Be­woh­ne­r*in­nen des anliegenden Wohnheims für Geflüchtete das Internet. Und auf der Bank hinter mir nehmen ein paar BVG-Mitarbeiter*innen Platz. Sie reden über die schlechte Bezahlung von Busfahrer*innen, übers Gendern und über Todesfälle im Schienenverkehr. Eine Frau gibt den Ton an: Sie redet am meisten und lautesten und wirkt sehr selbstsicher. Ich finde es beruhigend, zu fortgeschrittener Stunde nicht alleine bei schlechter Beleuchtung im abgelegenen Industriegebiet zu sitzen. Krampfhaft versuche ich, trotz schlechter Konzentration einen Text zustande zu bringen. Irgendwann gelingt es mir, alles auszublenden und zu funktionieren. Als ich meinen Laptop endlich zuklappe, ist es um mich herum still.

Die Leute aus dem Wohnheim sind weg. Statt der vielen Stimmen hinter mir höre ich nur noch die der tonangebenden Frau und die von einem der Männer. Sie sagt: „Und ob du ein Alkoholproblem hast!“ Er erwidert etwas, was ich nicht verstehe. Woraufhin sie trocken meint: „Du kackst seit Jahren ein. Ich sehe es jeden Tag an deiner Unterwäsche und deinen Hosen. Überall Kackspuren! Ich weiß echt nicht, warum ich noch mit dir zusammen bin! Nenn mir einen Grund, bei dir zu bleiben!“ Er lallt: „Weil ich dich liebe?“ Sie ruft: „Dann mach endlich was gegen dein Problem!“ So leise ich kann, packe ich ein und schleiche nach Hause. Meine physische Befindlichkeit scheint mir auf einen Schlag nichtig. Eva-Lena Lörzer