: Aus der Welt der Kinder
Die Retrospektive „Und das Leben geht weiter“ im Kino Arsenal zeigt ab Sonnabend Filme des iranischen Regisseurs Abbas Kiarostami, darunter einige Raritäten
Von Fabian Tietke
Ein Brot unter dem Arm, läuft ein Junge nach Hause, kickt eine zerknäulte Blechdose, auf der Tonspur schwingt eine Klarinettenversion des Beatles-Songs „Ob-La-Di, Ob-La-Da“ dahin. Die Musik verstummt, ein Hund bellt hinter einer Straßenecke hervor. Der bellende Hund wird zum unüberwindlichen Hindernis auf dem Heimweg des Jungen. Ratlos wartet er an der Straßenecke, unschlüssig, was zu tun wäre.
„Der Hauptdarsteller war ein siebenjähriger Junge und kein professioneller Darsteller, der Hund war kein professioneller Hund, und ich war kein professioneller Regisseur“, zitiert der Programmtext des Arsenals Abbas Kiarostami, von dem der Film stammt. Er trägt den Titel „Nan va koutcheh“ (Bread and Alley), ist der erste Film von Kiarostami, entstanden 1970 für die kurz zuvor gegründete Filmabteilung des Zentrums für die intellektuelle Entwicklung von Kindern und Heranwachsenden in Teheran. Am Samstag eröffnet der Film eine Retrospektive des Werks Kiarostamis im Arsenal, die die Filmkritikerin Anke Leweke zusammengestellt hat.
Zur Eröffnung läuft „Bread and Alley“ als Vorfilm zu dem deutlich später entstandenen „Khane-ye doust kodjast“ (Wo ist das Haus meines Freundes?), der mit dem früheren Film in vielfältigen Verbindungen steht. Beide Filme eint nicht zuletzt, wie bedingungslos sie sich auf die Welt ihrer Kinderprotagonisten einlassen. „Wo ist das Haus meines Freundes?“ zeigt seinen jungen Protagonisten auf einer Mission: Ahmed setzt alles daran, seinem Freund und Klassenkameraden Mohammed Reza sein Aufgabenheft zurückzugeben, das er aus Versehen eingesteckt hat. Am Vormittag erst hat der Lehrer Mohammed Reza zusammengestaucht, weil dieser seine Aufgaben nicht im Heft, sondern auf einem Zettel erledigt hat. Also macht sich Ahmed mit einigen spärlichen Anhaltspunkten auf, das Haus seines Freundes ausfindig zu machen.
„Bread and Alley“ beobachtete den Protagonisten beim Lösen eines Problems. „Wo ist das Haus meines Freundes?“ arbeitet dagegen eher den Kontrast heraus zwischen Ahmeds Welt, in der das Aufgabenheft nun mal das Wichtigste überhaupt ist, und der Welt der Erwachsenen, die dieser Prioritätensetzung mit Unverständnis begegnen. Unübersehbar ist „Wo ist das Haus meines Freundes?“ bis in einzelne Szenen hinein geprägt von Filmen des iranischen Kinos der frühen 1970er Jahre wie Sohrab Shahid Saless’ Langfilmdebüt „A Simple Event“ (1974).
Kiarostami begann seine Filmkarriere ohne formale Filmausbildung und eher zufällig dank der Möglichkeit, die ihm die Arbeit für das Zentrum für die intellektuelle Entwicklung von Kindern und Heranwachsenden bot. Die 1970er Jahre hindurch konnte er eine Reihe von kurzen und halblangen Filmen realisieren, bevor 1977 sein Langfilmdebüt „Gozaresh“ (The Report“) folgte. „Wo ist das Haus meines Freundes?“ gewann 1989 den bronzenen Leoparden auf dem Filmfestival in Locarno und war der erste internationale Erfolg Kiarostamis. In diesem Film hatte Kiarostami eine allgemein zugängliche Form für sein humanistisches Kino gefunden.
Das Langfilmdebüt „The Report“ ist demgegenüber deutlich spezifischer auf den iranischen Kontext bezogen. Der Film ist der erste Kiarostamis, bei dem Erwachsene im Zentrum der Handlung stehen. Der Finanzbeamte Mahmoud hat ein Gespür dafür, Leute gegen sich aufzubringen. Im Kontrast zu seinem opportunistischen Vorgesetzten und seinem unscheinbaren Kollegen wirkt er dennoch immer etwas fehl am Platz. Nach einem Streit in einer Steuerfrage wird er beschuldigt, Bestechungsgeld eingefordert zu haben.
Seine Frau ist zunehmend genervt von seinen Eskapaden mit seinen Freunden, die Vermieterin wiederum hat aus prosaischeren Gründen die Faxen dicke. Der Film entstand zwei Jahre vor den Umbrüchen des Jahres 1979, inmitten der Konflikte, die den Iran ab Mitte der 1970er Jahre zunehmend prägten. „The Report“ zeigt Mahmoud als stilbewussten, aber orientierungslosen Vertreter einer säkularen Mittelschicht. Der Film ist in der Reihe zweimal zu sehen, das eine Mal mit einem erst unlängst wiederentdeckten Audiokommentar von Kiarostami.
Anke Leweke ergänzt die Filme Kiarostamis mit einigen Filmen anderer iranischer Regisseure, die mit dem Werk Kiarostamis verbunden sind. Jafar Panahi zeigt in „Taiaye sorkh“ („Crimson Gold“, 2003) den surrealen Alltag zweier Veteranen des Irakkriegs. Mani Haghighi drehte 2006 „Men at Work“ nach einer Idee von Kiarostami. Panahi ehrte Kiarostami kurz nach dessen Tod 2016 noch mit der Hommage „Où en êtes-vous Jafar Panahi?“
Haghighi steuert überdies eine Einführung zu „The Report“ bei und ist bei der Vorführung seines eigenen Films zu Gast. Ebenfalls zu Gast ist Kiarostamis Übersetzerin und Mitarbeiterin Massoumeh Lahidji. Die Retrospektive ist eine gute Möglichkeit zum Wiedersehen mit Filmen Kiarostamis, die nur noch als Erinnerung im Kopf existierten und zum Entdecken der Filme, die vor und zwischen den internationalen Erfolgen entstanden.
„Und das Leben geht weiter – Retrospektive Abbas Kiarostami“, Kino Arsenal, 2. bis 31. Oktober
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