: An den Rand gespielt
EU-GIPFEL Wie die Bundeskanzlerin sich selbst ins Abseits stellte und Italiens Regierungschef Monti das Match gewann
■ Der Beschluss: Unter Beteiligung der Europäischen Zentralbank (EZB) soll eine „wirksame einheitliche“ Aufsicht für die Banken geschaffen werden. Die soll „dringlich bis Ende 2012“ auf den Weg gebracht werden.
■ Die Vorteile: Bisher hat die Bankenaufsicht in den einzelnen EU-Staaten eine sehr unterschiedliche Qualität. Oft gibt es eine Tendenz, Probleme herunterzuspielen. Behörden und Banken sind häufig eng verflochten, was eine effektive Kontrolle behindert. Dies würde sich bei einer EU-weiten, einheitlichen Aufsicht verbessern.
■ Die Probleme: Es ist zweifelhaft, ob eine europaweite Bankenaufsicht so schnell geschaffen werden kann, wie es nun geplant ist. Denn die Europäische Zentralbank ist für diese schwierige Aufgabe nicht ausreichend ausgestattet. Außerdem würde sie noch mächtiger. Aufgrund ihrer garantierten Unabhängigkeit unterläge die EZB aber weiterhin keinerlei demokratischer Kontrolle. (mkr)
AUS BRÜSSEL ERIC BONSE
Der Gipfel: Das ist also der Abend, an dem Merkel die Führung über den Euro verliert. Nein, nein, nein, hatte sie vor dem EU-Gipfel ausgerufen: Keine Eurobonds, „solange ich lebe“, keine Sonderkonditionen bei der Bankenrettung in Spanien, keine speziellen Hilfen für Italien. Dass die Finanzmärkte Italien und Spanien in die Zange genommen hatten und der Zinsdruck ins Unerträgliche wuchs, schien die „eiserne Kanzlerin“ nicht zu kümmern.
Ganz anders Italiens Premier Mario Monti: er warnte vor einer „Katastrophe“, falls seinem Land nicht geholfen werde, und drohte, zur Not bis Sonntagabend in Brüssel zu bleiben, um einen Gipfelbeschluss zu erzwingen. In Merkels Lager nahm man das nicht ernst. Monti könne ja einen Hilfsantrag stellen und die internationale Troika nach Rom rufen, sagten ihre Berater. Die hohen Zinsen seien gar nicht schlimm, zu „Panik“ bestehe kein Grund.
Was als sachliche Bemerkung gemeint war, kam als typisch deutsche Arroganz bei Monti an – und bei François Hollande und Mariano Rajoy. Frankreichs neuer Staatschef und Spaniens nicht mehr ganz so neuer Regierungschef verabredeten, sich bei diesem Gipfel gemeinsam mit Monti die Bälle zuzuspielen. Und so kam es dann auch.
■ Der Beschluss: Gelder aus den Rettungsschirmen EFSF und ESM können künftig direkt an bedürftige Banken fließen, statt wie bislang über den Haushalt des Staates, in dem sich die Bank befindet.
■ Die Vorteile: Bisher hat Spanien ein Problem: Wenn es seinen Geldhäusern, die auf vielen faulen Hypotheken sitzen, neues Eigenkapital geben will, müsste Madrid das Geld erst beim Rettungsschirm EFSF leihen, um es an die Banken weiterzureichen. So ein Kredit – die Rede ist von 100 Milliarden Euro – würde die Schuldenquote Spaniens drastisch erhöhen. In der Folge hätte das Land neue Probleme, an den Finanzmärkten Geld zu leihen. Können sich die Banken direkt an den ESFS wenden, wird dieses Problem umgangen.
■ Die Probleme: Offen ist, wer für den Kredit an die Banken haftet. Möglicherweise gibt es auch rechtliche Hürden. Zudem soll der Mechanismus erst erlaubt sein, wenn die europäische Bankenaufsicht (siehe links) steht. (mkr)
Dass es nicht gut lief für Deutschland, wurde gleich zu Beginn des Gipfelspiels deutlich: Merkel konnte ihren Wunschkandidaten für die Leitung der Eurogruppe, ihren Parteifreund Wolfgang Schäuble, nicht durchsetzen. Frankreich blockierte die Nominierung des deutschen Kassenwarts, ein Kompromisskandidat wurde nicht gefunden. Also blieb den Eurochefs nichts anderes übrig, als Amtsinhaber Jean-Claude Juncker um Verlängerung zu bitten. Merkel hatte ihre erste Schlacht verloren.
Der entscheidende Moment: Am Donnerstag gegen 19 Uhr wollen die Chefs ihren ersten Beschluss verkünden: die Einigung auf den Wachstumspakt. Doch Monti bekommt einen Wutanfall, weil immer noch keine kurzfristigen Maßnahmen zur Stützung Spaniens und Italiens beschlossen wurden. Der Italiener droht mit seiner Abreise und damit, den Wachstumspakt platzen zu lassen. „Sind wir nun alle Geiseln“, fragt die dänische Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt.
Montis Drohung zielt ganz klar auf die Kanzlerin. Merkel bekommt den Fiskalpakt im Bundestag nur dann durch, wenn vorher, beim EU-Gipfel, auch der Wachstumspakt beschlossen wird. Denn SPD und Grüne haben ihre Zustimmung genau davon abhängig gemacht. Das weiß natürlich auch Monti – er spielt nun Hardball mit der Kanzlerin.
■ Der Beschluss: Der künftige Rettungsfonds ESM und sein Vorläufer EFSF sollen Staatsanleihen von Euroländern aufkaufen können. Dafür müssen sich diese Staaten nicht mehr strengen Auflagen unterwerfen, wie es bislang der Fall ist. Vorausgesetzt wird lediglich, dass sie die haushaltspolitischen Vorgaben der EU einhalten.
■ Die Vorteile: Erwartet wird, dass dieser Beschluss das Zinsniveau von Staaten wie Italien absenkt, denn die Investoren dürften davon ausgehen, dass die Rettungsfonds im Zweifel einspringen. Das ohnehin harte Sparprogramm Italiens muss nicht weiter verschärft werden, so dass kein zusätzlicher Wirtschaftseinbruch und weniger politischer Protest drohen.
■ Die Probleme: Die Details der Regelung sind noch unklar. Zudem wird das Volumen der Rettungsfonds schnell aufgebraucht, wenn sie von diesem Mittel starken Gebrauch machen. Kritiker befürchten, dass das Ausfallrisiko ohne neue Auflagen steigt. (mkr)
Ergebnis: Merkel sagt ihr Pressegespräch ab, das Abendessen wird auf später verschoben, die Debatte geht weiter – und Monti bekommt seine EU-Hilfen. Allerdings wird erst mal Fußball geguckt.
Die Verlängerung: Als feststeht, dass Italien die Euro 2:1 gewonnen hat, geht es wieder um den Euro. Merkel versucht ein letztes Mal, das Spiel zu wenden. Sie drängt Van Rompuy, vor die Presse zu treten und eine Einigung beim Wachstumspakt zu verkünden – eine glatte Lüge. Schließlich blockiert Monti weiter, auch Rajoy hat sich der Fronde angeschlossen. Hollande empfiehlt, besser bei der Wahrheit zu bleiben. Die Presse bekommt Wind von dem Streit, nun gibt es kein Zurück mehr. Die 17 Euroländer beraumen eine Nachtsitzung ein. Um halb fünf morgens steht der Deal – Italien hat gewonnen.
Die große Verliererin: Angela Merkel. Dies war eindeutig nicht ihr Spiel. Sie wollte weder die nächtliche Krisensitzung noch das Ergebnis. Die „eiserne Kanzlerin“ wurde Opfer ihrer eigenen Taktik, den EU-Gipfel und die Ratifizierung von Fiskalpakt und ESM miteinander zu verknüpfen. Wenn die entscheidende Sitzung des Bundestags nicht am Freitag gewesen wäre, hätte sie locker auf Zeit spielen können. Nun wurde sie zur Geisel ihrer eigenen Strategie.
■ Der Beschluss: Der Gipfel verabschiedete einen „Pakt für Wachstum und Beschäftigung“. Damit sollen insgesamt 120 Milliarden Euro mobilisiert werden, um die Rezession und die Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen.
■ Die Vorteile: In der EU hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass Sparen allein die Haushaltsprobleme nicht löst, sondern sogar verschärft, wenn in der Folge die Wirtschaft und damit die Steuereinnahmen wegbrechen. Hier soll der Wachstumspakt gegensteuern.
■ Die Probleme: An der Wirksamkeit des Paktes gibt es erhebliche Zweifel. Die real eingesetzte Summe ist viel geringer und wird zudem nur umdeklariert. So soll die Erhöhung des Kapitals der Europäischen Investitionsbank um 10 Milliarden Euro Investitionen von 60 Milliarden Euro auslösen. Und 55 Milliarden Euro an EU-Strukturfondsmitteln, die nun umgewidmet werden sollen, sind bisher zu einem großen Teil nicht mit realen Zahlungen hinterlegt. (mkr)
Schlussfolgerung: Die Zeit, in der Merkel und Schäuble die Eurozone mit Spardiktaten disziplinierten, ist vorbei. Deutschland muss sich neu aufstellen, sonst könnte es irgendwann an den Rand gedrängt werden.
Und sonst? Die Zitterpartie um den Euro geht weiter. Gestern machten die Finanzmärkte einen Freudensprung. Doch wenn sie das Kleingedruckte der Gipfelbeschlüsse lesen, könnten sie schon bald wieder zweifeln – und erneut gegen Spanien und Italien spekulieren.