Die Bilder des Terrors
: KOMMENTAR VON STEFAN REINECKE

Ein zerborstener Doppeldeckerbus, blutüberströmte Passanten. Das haben wir gesehen. Die Fantasie hat sich mit dem beschäftigt, was nicht zu sehen war: den Explosionen in der Londoner U-Bahn. Die Bilder solcher Attentate rücken uns ganz nahe auf den Leib. Die Mittelbarkeit des Mediums Fernsehen scheint zu verschwinden. Man könnte selbst in einem dieser Busse oder U-Bahnen gesessen haben. Für einen Schreckensmoment bricht unser gut trainierter Wahrnehmungsabwehrapparat zusammen, mit dem wir uns die Zumutungen der Welt gewöhnlich vom Hals halten.

 New York 2001, Madrid 2004, nun London. Am 11. 9. ging es darum, zu demonstrieren, wie verletzlich die westliche Zivilisation ist. In Madrid ging es um das Gleiche – hinzu kam ein politisches Ziel. Spanien sollte zum Rückzug aus dem Irak gezwungen werden. Scheinbar, aber nur scheinbar ist dies den islamistischen Terroristen geglückt. Denn die konservative Aznar-Regierung ist nicht wegen des Terrors abgewählt worden, sondern weil sie versucht hat, den Anschlag der ETA in die Schuhe zu schieben.

 Der Anschlag von London folgt einer ähnlichen Logik. Die Verletzlichkeit der G-8-Staaten sollte zum Gipfeltreffen symbolisiert werden, die Briten sollten aus dem Irak gebombt werden. Wie in Madrid ging es darum, möglichst viele Zivilisten zu treffen, zu verletzen, zu töten. Dies ist eine faschistische Methode. Dass es in London weniger Tote gab als in Madrid, scheint ein Zufall zu sein, keine Absicht der Täter.

 Die Botschaft der Anschläge lautet: Der islamistische Terror bleibt akut. Auch für uns? Deutschland, so Otto Schily gestern, kann Ziel von Anschlägen werden, aber eine akute Gefahr gibt es nicht. Schily, zu dessen Sicherheitsideen man kritisch stehen muss, hat damit genau den richtige Ton getroffen: nicht abgewiegelt, aber auch keine Ängste geschürt.

 New York, Madrid, London. Reagieren wir auf diese Anschläge, die das Gleiche meinen, auch gleich? Oder verschiebt sich etwas? War der Moment des Schreckens nicht kürzer als in Madrid? Ist das ratlose Staunen nicht schneller von der Routine verdrängt worden?

 Wir fangen an, den Terror für etwas zu halten, mit dem gerechnet werden muss. Wir beginnen uns an diese Bilder zu gewöhnen, millimeterweise, ganz langsam. Es mag bloß moralisch, ja hilflos klingen. Aber das dürfen wir nicht.