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Aus dem Fallturm in den Weltraum

Forschungen im Bremer Fallturm können in der Zukunft Klimamessungen verbessern. Dabei werden eine Art Wolken erzeugt, die als die kältesten Orte überhaupt gelten

Von Teresa Wolny

Die amerikanische Raumfahrtagentur NASA brüstet sich damit, den „coolest place in the universe“ erzeugt zu haben – er befindet sich auf der Internationalen Raumstation (ISS). Dort herrschen, physikalisch allerdings nicht ganz korrekt ausgedrückt, minus 273 Grad Celsius.

Seit August kann der Bremer Fallturm bei diesen Rekorden locker­ mithalten. In den Forschungen des QUANTUS-­Projekts, an dem insgesamt sechs deutsche Universitäten beteiligt sind, ging es aber nicht um Temperaturrekorde. Stattdessen wollen die Forschenden am Bremer Zentrum für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation (ZARM) neue Messinstrumente ­entwickeln.

„Zum einen ist das wichtig für die physikalische Grundlagenforschung“, erklärt Merle Cornelius, Doktorandin am ZARM. Zum anderen könnten die Instrumente in Zukunft dazu beitragen, Klimamessungen vom Weltraum aus sehr viel präziser zu machen. Konkret geht es um ein sogenanntes Bose-Einstein-Kondensat: Cornelius beschreibt das als kleine Atomwolke, die sehr kalt ist – in denen sich die Teilchen also nur noch sehr langsam bewegen.

Künftig könnten diese Wolken die bisherigen Messsysteme in den Satelliten ersetzen. Damit kann dann etwa genauer ermittelt werden, wo und in welchem Zeitraum sich der Meeres- oder der Grundwasserspiegel verändert hat.

Geodäsie nennt sich diese Form der Erdvermessung, auf die auch die Klimaforschung angewiesen ist und die das sogenannte Schwerefeld der Erde misst. „Das beste Beispiel sind dabei die Eisschilde in der Antarktis“, sagt Ben Marzeion, Klimageograph an der Uni Bremen. „Über Regionen, wo das Eis schmilzt, verringert sich die Erdanziehungskraft.“ Denn das Schwerefeld der Erde ist in den Alpen – also da, wo viel Masse ist – kräftiger als im Flachland. Auch Veränderungen des Grundwasserspiegels können so gemessen werden. „Wo er sinkt, fehlt die Masse des Wassers im Boden“, so Marzeion.

Um die Messungen aber überhaupt durchführen zu können, sei es wichtig, dass die Atomwolke für eine bestimmte Zeit stabil bleibt, erklärt Sven Herrmann vom ZARM. „Deshalb haben wir an einer Technik gearbeitet, um das Auseinanderfliegen der Atomwolke zu stoppen.“

Hier kommt der Fallturm ins Spiel: „In der Schwerkraft fallen die Atome in der Wolke nach unten“, erklärt Herrmann. „Und selbst, wenn die Atome in der Schwerelosigkeit nicht fallen, haben sie immer noch eine Restenergie, die die Wolke auseinander treibt.“ Im Fallturm, wo für 4,74 Sekunden Schwerelosigkeit herrscht, ist es den Forschenden nun gelungen, die Wolke ganze zwei Sekunden lang aufrecht zu erhalten. Bis das klappte, sauste die Kapsel, in der sich das Experiment befindet, immer wieder die 110 Meter tiefe Fallröhre ­hinab. Laut ZARM ­deuten Computer­simulationen darauf hin, dass der stabile Zustand in der Schwerelosigkeit sogar 17 Sekunden lang möglich sein könnte.

„Wir haben daran gearbeitet, dass Auseinanderfliegen der Atomwolke zu stoppen“

Sven Herrmann, ZARM

„Wir wissen nun, dass diese Art von Messungen in der Schwerelosigkeit funktionieren“, sagt Merle Cornelius. „Der nächste Schritt wäre, die Messungen dann auf der ISS oder auf einer Satellitenmission durchzuführen.“

Die Forschung wird unter anderem vom Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrum (DLR) gefördert. Laut der Raumfahrtagentur erhalten die beteiligten Unis insgesamt fünf Millionen Euro.

Warum man bei der Atomwolke, mit der auch auf der ISS geforscht wird, korrekterweise nicht von Kälte oder Temperatur sprechen kann, hängt damit zusammen, dass ein Bose-Einstein-Kondensat kein Gas ist, sondern eine Art Aggregatzustand, der gar keine Temperatur haben kann. „Physikalisch ist der Temperaturbegriff eigentlich nicht korrekt“, sagt Cornelius. „Wir benutzen ihn der Anschaulichkeit halber trotzdem.“

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