: Gestalter der Zukunft
Im Aufbau Haus wird an den Unternehmer Adriano Olivetti erinnert, der ethisch und ästhetisch neue Ansätze verfolgte
Von Marielle Kreienborg
Dreizehn Jahre alt war Adriano Olivetti, als sein Vater Camillo ihn im Jahr 1914 den Sommer über zum ersten Mal zum Arbeiten in eine der zur Fabrik gehörigen Werkstätten im sizilianischen Trapani schickte.
Der Sohn tat sich schwer mit den manuellen Arbeitsabläufen: Die Monotonie ödete ihn an, seine Gedanken schweiften ab. Wie ein Mensch sechs Tage die Woche acht Stunden demselben Tun nachgehen kann, ohne seinen Geist in ein Gefängnis zu sperren, wurde so zur zentralen Frage des Universums Olivetti. Adriano Olivetti legte mit seiner Vision einer humanen Urbanität den Grundstein für unternehmerisches Verantwortungsbewusstsein, lange bevor Start-ups mit frischen Früchten, Tischtennisplatten und Sundownern auf Terrassen gelockt oder Tech-Unternehmen ihre Zöglinge mit Bussen durch San Francisco gekarrt haben.
Dem ästhetisch wie ethisch innovativen Ansatz Adriano Olivettis, der zwischen 1930 und 1960 im piemontischen Ivrea gelebte Realität wurde und Jahrzehnte später immer noch durch frappierende Aktualität besticht, widmet sich die Ausstellung „Universum Olivetti. Gemeinschaft als konkrete Utopie“ im Aufbau Haus am Moritzplatz.
Gegliedert in vier Abteilungen (Stadt und Politik, Fabrik, Kultur und Bild, Gesellschaft) wird anhand von Grafiken und Archivdokumenten die revolutionäre Geschichte des Unternehmens sowie der Persönlichkeit Adriano Olivettis erzählt: Besucher*innen lesen den Brief, den Adrianos Vater Camillo seiner Frau auf seiner ersten eigenhändig konstruierten Schreibmaschine, der Olivetti M1, geschrieben hat, ehe er das Modell 1911 auf der Turiner Weltausstellung vorführte.
Camillo Olivetti konstruierte die Fabrik aus rotem Backstein, die beide Weltkriege überstanden hat, im Jahre 1908 auf dem familiären Grundstück in Ivrea. Die ersten zwanzig Arbeitskräfte rekrutierte er, indem er jungen Männern aus der ländlichen Umgebung die mechanischen Grundlagen der Ingenieurarbeit beibrachte.
1933 übergab Camillo die Führung des Familienunternehmens seinem Sohn Adriano, der auf dem Fabrikgelände – rund siebzig Prozent der bebaubaren Fläche Ivreas gehört Olivetti – in Zusammenarbeit mit herausragenden Architekten und Designern seiner Zeit eine Stadt in der Stadt kreierte, die über Mensa, Kinderbetreuungen, Schulen, Forschungseinrichtungen, Wohnsiedlungen, Sozialeinrichtungen, Gärten und eine Bibliothek für seine Mitarbeiter*innen verfügte.
Adriano Olivettis Führungsstil unterschied sich radikal von anderen seiner Zeit, weil er den Bedürfnissen der Produktion (Schaffung von Arbeitsplätzen, Akkumulation von Wohlstand) weder den Menschen noch die Integrität des Städtebildes unterordnete und bewies, dass sich ein erfolgreiches Geschäftsmodell und humanitäre Gedanken nicht ausschließen mussten.
Auch in Sachen Design legte Olivetti ein Pionierdenken an den Tag, das heutzutage häufig mit Steve Jobs in Verbindung gebracht wird, das Olivetti jedoch bereits in den Fünfzigern leitete: Als Erster in Italien brachte er in seinen Schreibmaschinen Pragmatik und Schönheit zusammen, statt in ihnen lediglich Objekte der Nützlichkeit zu sehen. Die Lettera 22 aus dem Jahr 1950 machte den Stil Olivettis unter dem Label made in Italy auf der ganzen Welt bekannt und zog Schriftsteller*innen von Ernest Hemingway bis Susan Sonntag in ihren Bann.
Begleitet wird die Ausstellung von den Arbeiten von vier Fotograf*innen, die das Universum Olivetti mal reproduzieren, mal reinterpretieren: Die Orangen auf den Fotografien von Valentina Vaniccola erinnern beispielsweise an die „battaglia delle arancie“, die Orangenschlacht, die den Karneval von Ivrea traditionell begleitet.1960, dem Todesjahr Adriano Olivettis, wurden Karneval und Orangenschlacht zum ersten und einzigen Mal in der Historie der Stadt ausgesetzt.
„Universum Olivetti. Gemeinschaft als konkrete Utopie“ ist bis 26. September, täglich von 11.30 bis 18.30 Uhr im Aufbau Haus am Moritzplatz zu sehen
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