: Himmlische Rezepte
KOCHBUCH BIBEL Mahlzeiten für Könige und Engel zum Nachkochen? Für jene, die sich allzu umfangreiche Lektüre ersparen möchten, wurden 18 Menüfolgen zusammengestellt
VON LARS KLAASSEN
Wenn Christen am 4. Oktober das diesjährige Erntedankfest begehen, werden viele von ihnen Feldfrüchte, Getreide und andere Lebensmittel, denen man eine besondere Naturnähe unterstellen kann, dekorativ aufstellen: Mehl, Honig, Wein und Ähnliches. In katholischen Regionen werden Prozessionen eine aus Getreide oder Weinreben geflochtene „Erntekrone“ durch das Gemeindegebiet tragen. Damit soll an die Arbeit in Landwirtschaft und Gärten erinnert werden – und daran, dass es nicht allein in der Hand des Menschen liegt, über ausreichend Nahrung zu verfügen. Diese Symbolik ist schön und gut. Aber kulinarisch ambitionierte Menschen werden dabei etwas vermissen: Was ist denn mit der Zubereitung all dieser schönen Dinge?
Wer sich dem christlichen Glauben etwas intensiver widmet, wird feststellen, dass diese Religion ein spannendes Kochbuch im Angebot hat: die Bibel. Zwischen jeder Menge Historie, Sex & Crime – und auch einigen langatmigen Passagen – finden sich immer wieder Stellen, in denen nicht nur dargestellt wird, was Menschen essen und wie sie ihre Mahlzeiten zu sich genommen haben. Auch Andeutungen darüber, wie diese Mahlzeiten zubereitet wurden, lassen sich entdecken.
Schon allein der soziale Status mancher Akteure garantiert, dass es in der Bibel auch kulinarisch Feinstes zu entdecken gibt: warum nicht mal den Freundeskreis so opulent bewirten, wie es König David bei seiner Hochzeit getan hat? Die Dramatik einiger Geschichten lässt ebenfalls auf enorme Verlockungen schließen: Wenn jemand sein Erstgeburtsrecht für ein Linsengericht hergibt, spricht viel dafür, das Rezept einmal nachzukochen. Und möchte man nicht ebenfalls mit am Tisch sitzen, wenn Engel bewirtet werden? Nun wäre der Zeitaufwand, die gesamte Bibel zu lesen, bloß um einige Rezepte zu entdecken, sicher etwas zu groß. Gut, dass diesen Job bereits andere erledigt haben.
Anthony F. Chiffolo und Rayner W. Hesse jr. – der eine Kulturwissenschaftler, der andere ordinierter Pastor und beide sinnenfrohe und kenntnisreiche Bibelforscher – haben in heiterer Verbindung von jahrelanger Lektüre und praktischer Kocherfahrung zahllose Rezepte und Menüs ausprobiert, auf die sie in den Schriften des Alten und Neuen Testaments gestoßen sind.
Über die Bibellektüre hinaus haben die Autoren sich auch an die Exegese der entsprechenden Passage gemacht. Zum einen stellten sich Fragen bezüglich der Zutaten. Nicht immer geht aus den Textstellen exakt hervor, was dort beschrieben wird. Auch die Zubereitung ist heute deutlich anders. Über offenem Feuer zu kochen dürfte etwa in einer Mietwohnung problematisch sein. Die Rezeptforscher haben die Quellentexte ins aktuelle Küchenlatein übersetzt. Es bedarf keiner Wunder, um an die dafür erforderlichen Zutaten zu gelangen und nach den präzisen Anweisungen eine Mahlzeit der besonderen Art zuzubereiten. Bei den Desserts verbinden die Autoren Altes mit Neuem: Dort werden moderne Speisen aufgeführt, die sich aber – oft mit den Zutaten – auf die Themen der einzelnen Kapitel beziehen.
18 Mahlzeiten werden in dem Buch vorgestellt, samt der Bibeltexte, die von ihnen berichten. Zum Verständnis des Ganzen erläutern die Autoren auch den historischen Hintergrund sowie die religiöse Bedeutung der Passagen. Damit bekommt die kulinarische Seite noch einen erzählerischen Hintergrund. Während der Lammbraten schmort, die Wachtel gart und der Wein schon einmal vorgekostet wird, können Küchenaktivisten und Gäste biblische Geschichten kennenlernen, in denen die Freude an einer gemeinsamen Mahlzeit bei Juden und frühen Christen eine ganz besondere Rolle spielte.
■ Anthony F. Chiffolo und Rayner W. Hesse jr.: „Kochen mit der Bibel. Rezepte und Geschichten“. Aus dem Amerikanischen von Reinhild Böhnke. C. H. Beck, München 2008, 304 Seiten mit 19 Farbabbildungen, zahlreichen Vignetten und 164 Rezepten, Halbleinen, 19,90 Euro