piwik no script img

„Wir brauchen keine appen Ecken‘“

Den Hof Ehlers in Hasenmoor zwischen Hamburg und Kiel haben die Urgroßeltern gegründet. Zum Demeter-Hof auch für Menschen mit Hilfebedarf wurde er aber erst, nachdem Sabine Steenbocks Oma einen Vortrag über Steiners biologisch-dynamische Landwirtschaft gehört hatte

Produziert nur noch Demeter-Ware: Hof Ehlers in Hasenmoor Foto: Hof Ehlers

Interview Petra Schellen

taz: Frau Steenbock, wer hat den Hof Ehlers in Hasenmoor gegründet?

Sabine Steenbock: Den haben meine Urgroßeltern gebaut, zunächst als konventionellen Hof. Ihre Tochter – meine Großmutter – und ihr Mann haben dann nach einem Vortrag über Rudolf Steiner beschlossen, biologisch-dynamische Landwirtschaft einzuführen. Das ging ganz schnell: Als sie vom Vortrag nach Hause kamen, hat meine Oma sofort den Schlüssel des Spritzmittel-Schuppens weggeworfen. Das war kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, Ende der 1940er-Jahre. Bald danach wurde die Bäuerliche Gesellschaft – der Demeter-Verein – gegründet, und meine Großeltern waren von Anfang an dabei. Mein Vater und mein Onkel haben die biologisch-dynamische Landwirtschaft dann weiter ausgebaut und angefangen, Gemüse an Reformhäuser zu verkaufen. Als Demeter-Betrieb konnten sie ja nicht mehr, wie früher, an die konventionell arbeitende Bauerngenossenschaft verkaufen und waren auf sich allein gestellt. Das hieß: alle ins Auto, von morgens bis spät abends Möhren ernten, verkaufen und die Route so wählen, dass man vom Erlös unterwegs tanken kann. Das war schon knapp.

Wer lebte damals auf dem Hof?

Viele verschiedene Menschen. Der Hof war mit 60 Hektar Eigenland relativ groß für die Zeit. Zunächst waren da Mägde und landwirtschaftliche Helfer. In den 1950er Jahren-kamen Ostflüchtlinge dazu, außerdem junge Leute, die gegen Kost und Logis eine Zeit lang mithalfen. In den 1960er-Jahren lebten hier auch Menschen aus schwierigen Milieus oder mit Drogenproblemen, die der Hamburger Verein „Jugend hilft Jugend“ vermittelte. In den 1970ern kam die Idee auf, diese Sozialarbeit, die bisher „einfach so“ gemacht wurde, auszubauen. Meine Großeltern, mein Vater und mein Onkel ließen sich zu SozialpädagogInnen ausbilden und gründeten die Gemeinnützige Landbau-Forschungsgesellschaft Hasenmoor mbH, an der sich noch zwei weitere Demeter-Höfe der Region beteiligten. Sie alle nahmen von da an Menschen mit Hilfebedarf auf. Meine Großmutter trat als „Chefin“ zurück und gab den Hof in die Gemeinnützigkeit.

Fiel ihr das schwer?

Nein. Ihr war klar, dass ein so großes Projekt nur funktionieren kann, wenn man es in die Gemeinschaft zurückgibt. Wir leben hier mit inzwischen 50 Menschen auf dem Hof. Dazu kommen weitere 50, die mit dem Hof in Verbindung stehen – als BäuerInnen, BäckerInnen oder BetreuerInnen.

Wer lebt derzeit auf dem Hof?

Wie haben 34 Plätze für Menschen mit Hilfebedarf. Außerdem leben hier MitarbeiterInnenfamilien – wie meine eigene –, dazu LandwirtInnen, einige BäckerInnen sowie Familien aus der Sozialtherapie.

Leben die Menschen mit Hilfebedarf in WGs oder Wohngruppen?

Nein. Wir haben hier verschiedene Häuser mit vier bis acht Einzelzimmern sowie Gemeinschaftsräumen. Sie werden gemeinschaftlich betreut; das heißt, die BetreuerInnen wohnen mit in den Häusern. Dazu kommen von außen täglich Sozialpädagogen und -therapeutInnen, Erzieher, HeilerziehungspflegerInnen und verschiedenste Gewerke mit Zusatzqualifikationen.

Wie läuft der Alltag auf dem Hof ab?

Dadurch, dass wir ohnehin insgesamt 100 Menschen sind und außerdem Hofcafé und Hofladen täglich geöffnet haben, ist immer viel los: Wir fahren auf acht Wochenmärkte und bieten Gemüse, Käse, Milchprodukte, Brot, Brötchen an. Auch auf dem Hof selbst fällt viel Arbeit an: Wir haben eine Hofbäckerei, einen Laden, der täglich bestückt werden muss, außerdem Schweine, Kühe, Gänse, Hühner, die täglich zu versorgen sind.

Viel Arbeit. Stehen alle ständig unter Zeitdruck?

Das ist verschieden. Jeder gibt so viel Energie ab und leistet so viel, wie er kann. Es stimmt, wir haben einen langen Tag: Wir fangen um sieben Uhr an, die Tiere zu versorgen und hören um 18 Uhr mit dem gemeinsamen Abendbrot auf. Es gibt aber viele Pausen. Um acht ist Frühstück mit Arbeitsbesprechung. Um zwölf Mittagessen mit anschließender Pause. Um 15.30 Uhr ist Kaffeepause, um 18 Uhr Abendbrot. Die MitarbeiterInnen von außen haben eine reguläre 40-Stunden-Woche. Bei den Menschen mit Hilfebedarf achten wir darauf, dass sie selbstständig arbeiten und Verantwortung übernehmen können – aber jeder nach seinem Maß.

Ein Beispiel?

Einer von ihnen ist dafür zuständig, die Frühstücks- und Mittagsglocke zu schlagen, damit jeder weiß: Jetzt gibt es Essen – egal, ob man die Uhr lesen kann oder nicht. Er trägt große Verantwortung, denn wenn er nicht klingelt, haben wir ein Problem, weil keiner zum Essen kommt. Der nächste kümmert sich darum, dass morgens die Schweine gefüttert werden. Er hat den ganzen Tag Zeit, die Schweine zu betüddeln und mit KollegInnen zusammen auszumisten. Sie sind sehr verantwortungsbewusst, aber es gibt einen Mitarbeiter aus der Landwirtschaft, der drüberschaut, ob die Schweine genug bekommen haben. Ähnlich läuft es in der Bäckerei, der Gärtnerei, in der Küche, beim Verkauf. Das ist eine gemeinsame Sache, jedeR wird gebraucht, und dadurch entsteht ein ganz normales Mitein­ander.

Wie lange bleiben die Menschen bei Ihnen?

Drei von ihnen waren von Anfang an dabei, kamen mit 15 und sind immer noch hier. Weitere zehn, zwölf Leute sind schon 30 Jahre hier. Die jungen Menschen, die heutzutage zu uns kommen, bleiben im Schnitt fünf Jahre.

Wohin gehen sie dann?

Manche sind verselbstständigt, haben eine Arbeit und suchen sich eine eigene Wohnung. Andere wechseln in ambulant betreutes Wohnen oder gehen in eine andere Einrichtung.

Und wie anthroposophisch ist Ihr Alltag?

Sabine Steenbock

37, arbeitet seit 2006 als Heilerziehungspflegerin in der Hofgemeinschaft. Seit 2011 ist sie auch Mitglied der Geschäftsführung der Hofgemeinschaft sowie der Geschäftsführung der Gemeinnützigen Landbauforschungsgesellschaft Hasenmoor mbH.

Wir feiern die Jahreszeitenfeste, bieten Sprachgestaltung und Eurythmie an – freiwillig. Am wichtigsten ist aber das Menschenbild: das Miteinander-Umgehen auf Augenhöhe und die gegenseitige Wertschätzung. Ob die Lampen vier- oder achteckig sind, spielt keine Rolle. Auch nicht, wie das Gebäude aussieht. Wir haben einen schönen Hof, aber ohne „appe Ecken“.

Haben Sie selbst immer auf dem Hof gelebt?

Nein. Ich bin hier aufgewachsen, habe erst in Kaltenkirchen, später in Hamburg die Waldorfschule besucht. In Osnabrück habe ich mich dann nicht zur anthroposophischen, sondern zur staatlich geprüften Heilerziehungspflegerin ausbilden lassen. Anthroposophie erlebte ich ja schon hinreichend durch meinen Alltag auf dem Hof. Außerdem haben meine Großmutter und mein Vater immer darauf gedrängt, dass wir auch andere Dinge sehen und einbringen, damit wir nicht nur im eigenen Saft schmoren.

War Ihnen immer klar, das Sie auf den Hof zurückgehen würden?

Nein. Während der Ausbildung hatten mein damaliger Freund – mein jetziger Mann – und ich den Gedanken, auf einen Bauernhof zu gehen und dort mit Kindern zu arbeiten. Hier auf den Hof zurückzukommen, kam uns gar nicht in den Sinn, und das hat uns auch niemand nahegelegt. Erst später wurde uns klar, dass wir ja mal fragen könnten, ob wir auf dem Hof arbeiten dürfen. Wir haben es nicht bereut: Es ist was Feines, in so einer Gemeinschaft leben zu dürfen. Man hat immer Menschen um sich, die man mag, und wenn man Sorgen hat, ist jemand da. Man feiert Weihnachten mit 30, 40 Menschen, die einem wichtig sind. Und unsere Kinder wachsen in einer Gemeinschaft aus so unterschiedlichen Menschen auf, die so viele Werte vermittelt – das ist wirklich ein Paradies.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen