: 2. weil neo-koloniales Denken überwunden werden muss
Tsepo Bollwinkel
denkt, forscht und publiziert zu Schwarzer Identität und critical whiteness sowie zu geschlechtlichen und sozialen Identitäten im globalen Süden
taz-sommercamp: Tsepo, du sprichst in deinen Vorträgen von strukturellem Rassismus. Was genau ist das eigentlich?
Tsepo Bollwinkel: Das Problem im Gespräch über Rassismus ist, dass der Blick darauf immer ein individueller ist. Eine einzelne Person verhält sich zu einer anderen unangemessen. Das bringt uns aber nicht weiter. Die Frage ist: Warum meinen Menschen die Berechtigung zu haben, sich so zu verhalten? Um das Problem langfristig zu lösen, müssen wir also auf das Warum gucken.
Also. Warum?
Das Warum fängt damit an, dass rassistisches Denken und Handeln zutiefst in etwas eingeschrieben ist, das ich „kulturelles Unterbewusstsein“ nenne. Da sind versteckte Glaubenssätze drin, über den Wert und Unwert von Menschen, darüber, was zivilisiert und was primitiv ist, und wer darüber verfügt. Und diese inzwischen längst unausgesprochenen Glaubenssätze, die täglich Wirkung haben, gestalten wir durch Strukturen. Die wirken sich im täglichen Leben auf die Institutionen aus. Und das gibt uns Individuen erst die große Erlaubnis, entsprechend zu handeln. Wenn wir das Problem des strukturellen Rassismus angehen wollen, müssen wir also an die institutionellen Strukturen ran – und an die Glaubenssätze.
Struktureller Rassismus und Erinnerungskultur hängen zusammen.
Kolonialismus, Imperialismus, Rassismus und alle anderen Marginalisierungen und deren ökonomisch-soziale Gründe gehören nicht nur irgendwie in eine Erinnerungskultur. Ich will nicht noch ein Denkmal. Ich will einen gesellschaftlichen Diskurs. In den Schulen, in den Schulbüchern. Ich möchte, dass es Konsequenzen hat in der Art des Umgangs mit dem öffentlichen Raum. Und das sind eben nicht nur Denkmäler und nicht nur Straßennamen. Wir brauchen die Perspektive derer, die das unter brutalster Gewalt mit sich geschehen haben lassen müssen. Sie sollen erzählen. Es geht um Genozid, Vertreibung, Hunger, Entwürdigung, sexuellen Missbrauch. Beraubung von Kultur, Sprache, Geschichte.
Es gibt ein Heimatministerium. Was denkst du über ein vergleichbares Ministerium, das sich mit der Aufarbeitung von Kolonialismus beschäftigt?
Natürlich wäre es toll, wenn es ein „Gerechtigkeitsministerium“ geben würde, das sich mit kolonialen und neo-kolonialen Strukturen beschäftigt. Jedoch halte ich es für eine bessere Lösung, keine staatliche Institution neu zu gründen, sondern Institutionen von Betroffenen zu fördern. Mein Traum wären Unis für uns Schwarze Menschen wie in den USA.
Was entgegnest du jenen, die darin eine Spaltung sehen?
Unsere Gesellschaft ist gespalten. Menschen ohne Rassismuserfahrungen sind aber meist blind dafür. Der Status quo ist, dass marginalisierte Menschen diese Spaltung aushalten müssen, ohne Räume zu haben, in denen sie sich von dieser Anstrengung erholen können. Dieses hübsche Gefühl, dass wir nicht getrennt sind, ist nicht real. Die Spaltung anzuerkennen, ist notwendig für die Aufarbeitung des deutschen Imperialismus. Es herrscht jedoch nicht nur eine Trennung zwischen Marginalisierten und Mehrheit. Beispielsweise erleben auch Menschen mit Ostbiographie, dass ihnen ihre Erfahrungen abgesprochen und ihre Räume genommen werden. Nur Menschen, die durch einen biographischen Glücksfall in ihrer Wohlfühlblase leben, können bestimmen, dass diese vermeintlich für alle gilt.
Interview: Djamila Böhm, Julika Frieß, Thomas T. Klima
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