: „Man ist Gastgeber*in und Möglichmacher*in“
Es ist noch etwas hin bis zu ihrem Amtsantritt: Im kommenden Sommer übernehmen Anna K. Becker und Katrin Hylla die künstlerische Leitung der Schwankhalle, Bremens wichtiger Spiel- und Produktionsstätte für die darstellenden Künste. Ein Gespräch über Riesenherausforderungen, erhofften Austausch mit der reichhaltigen Stadtgesellschaft und den Wert von ein bisschen programmatischer Sperrigkeit
Interview Katrin Ullmann
taz: Frau Becker, Frau Hylla, ab August 2022 übernehmen Sie – mit Rahel Häseler als Geschäftsführerin – die Leitung der Bremer Schwankhalle. Wie geht es Ihnen mit dieser Perspektive?
Anna K. Becker: Wie frisch verliebt!
Katrin Hylla: Es fühlt sich an, als hätte die andere Person Ja gesagt. Es sind auf jeden Fall erst mal Glücksgefühle.
Und auf den zweiten Blick?
Hylla: Jetzt, wo wir anfangen zu sichten und zu planen, wird klar: Es ist auch eine Riesenherausforderung. Weil die Schwankhalle nicht irgendein Ort ist, sondern tatsächlich unser Wunsch-Ort ist. Sowohl vom Programm als auch von der Stadt.
Gibt es etwas, auf das Sie sich besonders freuen?
Hylla: Ja, einiges! Zum Beispiel ist Bremen ja die Partnerstadt von Riga und wir sind jetzt schon dran zu überlegen, welche Form von Austausch es geben könnte. Künstler*innen-Austausch, ein gemeinsames Festival vielleicht oder Gastspiele …
Becker: … oder mal die Hausleitung austauschen – so wie bei „Frauentausch“ … (lacht). Teil unseres Konzepts ist es außerdem, erst mal auszuschwärmen, und kennenlernen, wen es da alles in Bremen gibt. Da sind so viele Initiativen und Gruppen, so viel Aktivismus und so eine präsente Queer-Kultur … In unseren Köpfen gehen wir immer mit so einem Rotkäppchen-Korb, gefüllt mit Sekt und Kuchen, durch die Stadt und klingeln bei allen, um herauszufinden, wer möchte hier was und mit wem kann man Pläne schmieden.
Hylla: Ich finde das einfach eine wichtige Geste, wenn man neu ankommt. Offen zu sein und sich erst mal umzuschauen und zuzuhören, was die anderen wollen und brauchen, Bedürfnisse und Bedarfe einzuholen auf allen Ebenen und nicht schon mit dem fertigen Programm dazustehen und zu sagen: Friss oder stirb.
Bereitet Ihnen in Bezug auf Ihre Intendanz irgendetwas Bauchschmerzen?
Becker: Ein Aspekt, vor dem ich Respekt habe, ist, dass wir jetzt zum ersten Mal in einer Gatekeeper-Position sein werden. Wir werden diejenigen sein, die entschieden, was wird bei uns gezeigt, was ist relevant und was nicht. Wir haben aber auch Formate entwickelt, die uns als Entscheidende aushebeln. Zum Beispiel für das Residenzformat „Homegrown“.
Was ist das?
Da wollen wir die Künstler*innen, die sich bewerben, selbst zur Jury machen. Aber wenn man ein Haus leitet, ist man in einer Verantwortung. Man ist Gastgeber*in und Möglichmacher*in. So sehr man auf der einen Seite gewisse Jury-Fragen teilen will, kann man auf der anderen Seite die Verantwortung nur bis zu einem gewissen Grad abgeben.
Hylla: Es ist ein superkomplexes Unterfangen, ein Haus zu leiten. Wir haben Mitarbeiter*innen, wir haben eine Stadtgesellschaft. Und wir haben globale, uns alle völlig überwältigende Situationen, wo ich mich frage, wie positionieren wir als Künstler*innen uns in einer Welt, die gerade mehr Apokalypse als irgendetwas anderes ist? Das alles ist sehr komplex, aber wir freuen uns natürlich trotzdem drauf. Und wir haben Lust, es krachen zu lassen, dass es laut und knallig wird und dass sowohl Feingeister als auch alte Rock ’n’ Roller*innen ihren Platz finden.
Sie sind ein Leitungskollektiv – wie gut streiten Sie?
Anna K. Becker
* 1980, arbeitet als freischaffende Regisseurin und Dramaturgin. Sie war Regie- und Tour-Assistentin für Stefan Kaegi (Rimini Protokoll). Ihre Arbeiten waren u. a. im Rahmen der Ruhrtriennale, an der Kaserne Basel und in den Sophiensaelen Berlin zu sehen.
Becker: Ich würde auf jeden Fall eine Lanze brechen für den Streit, aber er muss natürlich gelernt sein. Und es setzt ein Grundvertrauen ineinander voraus.
Hylla: Ich glaube, als gegenseitiges Korrektiv sind drei Leute noch besser als zwei. Man kann sich nicht so leicht in blinde Begeisterung oder eine Sackgasse reinmanövrieren. Und unsere Zusammenarbeit fühlt sich schon sehr nach einem Zuhause an.
„Mit einen ästhetisch innovativen Programm entlang gesellschaftlich relevanter Fragestellungen an die Errungenschaften der letzten Jahre anknüpfen“: Das wollen Sie laut der Schwankhallen-Website. Können Sie das konkretisieren?
Hylla: Die Schwankhalle hat sich inzwischen überregional aufgestellt. Das sind alles Errungenschaften unserer Vorgänger*innen. Und auch wir wollen zukünftig immer auf der heißesten Spur sein. Was uns interessiert, ist: Wagnis, Risiko und vielleicht auch ein bisschen punkige Sperrigkeit.
Becker: Wir wollen schauen, was den Leuten wirklich unter den Nägeln brennt, und wollen verstärkt regional gucken und in die Fläche gehen. Eine weitere Neuerung ist, dass wir selbst produzieren und inszenieren wollen.
Das ist bestimmt nicht immer ganz leicht.
Hylla: Ja, aber es geht.
Becker: Es gilt, eine Balance zu finden, dass alle vernünftig arbeiten können, ohne einen Burn-out zu bekommen.
Hylla:Wir wollen unsere künstlerischen Ausflüge ja nicht …
Becker:… in der Nachtschicht …
Hylla: …und auch nicht auf dem Rücken unserer Mitarbeitenden austragen.
Katrin Hylla
* 1975, arbeitet als Regisseurin, Projektdramaturgin, Schauspielerin und Festivalorganisatorin. Bis März 2021 war sie Teil des Leitungsteams der freien Spielstätte TNT in Marburg. Sie ist Lehrbeauftragte in Hildesheim und Gießen sowie Lehrerin für Darstellendes Spiel.
Die Schwankhalle hat zwei voll ausgestattete Theatersäle mit 120 und 80 Sitzen – besonders groß das ja nicht.
Hylla: Ich sag’ mal: Der Werdersee, direkt hinter der Schwankhalle, ist ja groß. Das könnte auch ein Spielort sein. Und ich bin ebenfalls zu haben für Tennisplätze, Fußballplätze oder Leerstände in der Innenstadt.
Becker: Wir interessieren uns auch total für 1:1-Formate. Manchmal ist es, unabhängig von den Gegebenheiten, total attraktiv, nur für eine Person was zu machen. Und abgesehen davon liegt es ja an uns zu sagen, was alles „die Schwankhalle“ ist.
Wann ist Theater für Sie politisch?
Becker: Theater ist immer politisch. Ob es will oder nicht.
Hylla: Weil jedes Zeichen, jede Form der Zusammenarbeit, ein Statement ist. Wir wollen deswegen ganz viel von unserem politischen Grundverständnis nicht unbedingt auf der Bühne zeigen, sondern vielmehr in die Struktur übertragen.
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