: Habituelle Empörungswogen
Nach jedem Anschlag erheben die Politiker die gleichen Forderungen nach schärferen Sicherheitsgesetzen. So wollen sie Handlungsfähigkeit beweisen
AUS BERLIN KAI BIERMANN
Nach jedem Terroranschlag beginnt eine politische Diskussion um die innere Sicherheit. Auch nach den Attentaten in London. „Das ist ein Ritual“, sagt der Parteienforscher Karl-Rudolf Korte. „Das sind fast schon habituelle Empörungswogen, die durch das Land gehen.“
Ergebnis dieser „Empörungswogen“ ist der Streit, ob es in Deutschland noch „Schutzlücken“ gibt, wie es die Union mit einem Schlagwort formuliert – und dementsprechend eine Verschärfung der Gesetzgebung fordert. Oder ob Deutschland durch seine Zurückhaltung im Irak viel weniger bedroht sei und bereits entscheidende Lücken geschlossen habe, wie der parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Volker Beck, meint.
Der Innenexperte und Fraktionsvize der CDU, Wolfgang Bosbach, zum Beispiel nutzte die Chance, wieder einmal eine gemeinsame Antiterrorvolltextdatei aller Sicherheitsdienste zu fordern und sich damit auch als potenzieller Bundesinnenminister zu empfehlen. SPD, Grüne und FDP dagegen halten eine solche Datei für einen schweren Angriff auf die Grundrechte und lehnen sie ab.
„Es besteht die Gefahr, dass Politik aufgrund solcher aktuellen Ereignisse rechtsstaatliche Grundsätze nicht mehr achtet, weil sie Handlungsfähigkeit beweisen will“, sagte Max Stadler, der sich bei der FDP mit dem Thema Sicherheit befasst. Korte, der Professor für Politikwissenschaft an der Uni Duisburg-Essen und Leiter der Forschungsgruppe Regieren ist, nennt das „symbolische Politik“. Zugleich findet er solche Debatten aber sinnvoll: „Sie führen dazu, dass Politik vorankommt.“
Volker Beck sieht das anders. „Ich finde es schrecklich, dass man, sobald die Eilmeldung über den Ticker läuft, gesetzgeberische Konsequenzen verlangt, obwohl man noch nichts daraus lernen konnte“, sagte er der taz. Man könne doch Auswirkungen gar nicht sofort abschätzen und müsse einen kühlen Kopf bewahren. Bosbach meint dagegen, das seien Vorschläge, die man zum Teil schon seit zwei Jahren diskutiere.
„Wenn so ein fürchterliches Ereignis passiert, erleben wir, dass sofort alle möglichen Vorschläge aus der Schublade gezogen werden, die aus gutem Grund bisher im Parlament keine Mehrheit gefunden haben“, sagte Stadler. Er plädiere für mehr „Langsamkeit und Besonnenheit in der Gesetzgebung“. Es sei an der Zeit, „dass man die Geduld hat, eine Analyse der Vorgänge abzuwarten und sich dann von den Praktikern sagen zu lassen, ob es Lücken im Sicherheitssystem gegeben hat“. Vielleicht müsse man sich auch einfach mit der Erkenntnis abfinden, „dass selbst umfangreiche Überwachungsmaßnahmen keine hundertprozentige Sicherheit gewährleisten können“.
Ähnlich sieht das Beck. Er hält es für ein „ungutes Zusammenspiel“ von Politik und Öffentlichkeit: „Es drängt zur Verabschiedung von Maßnahmen, unabhängig davon, ob sie notwendig und effizient sind oder nicht.“
Abwarten jedoch ist schwierig, gerade im Wahlkampf. „Das ist ein Thema, das von den großen Parteien zur Polarisierung genutzt wird und auch, um Handlungsfähigkeit zu demonstrieren“, sagte Beck. „Wir müssen uns anstrengen, um die Menschen zu schützen, aber wir können ihnen keine Sicherheit versprechen.“
Die rot-grüne Bundesregierung sieht sich nicht zu neuen Gesetzen veranlasst. Im Gegenteil: Gerade die einstige Zurückhaltung im Irakkrieg könnte Schröder auch bei dieser Wahl noch nutzen, da sie die gefühlte Sicherheit erhöht. Doch Parteienforscher Korte glaubt nicht, dass die innere Sicherheit einen großen Einfluss auf die Bundestagswahl hat: „Das wird bis zum September das ökonomische Thema nicht überstrahlen.“