: Der neue Mann …
… mit der Mütze: Steffen Baumgart scheint das Kölner Spiel entfesselt zu haben, wie beim 2:1 über Bochum zu bestaunen war
Aus Köln Daniel Theweleit
Gerade einmal fünf, sechs Pässe waren gespielt, als sich zum ersten Mal diese mitreißende Energie über die Ränge legte, die diesen Fußballnachmittag von Köln-Müngersdorf prägen sollte. Die Stadionregie hatte den richtigen Zeitpunkt zum Abspielen der Klubhymne verpasst und musste den Song abbrechen, weil das Spiel losging. Aber die 25.000 Menschen sangen einfach weiter, mit genau der Hingabe, die auch die Spieler während der 90 Minuten erfüllte, an deren Ende sie einen 2:1-Sieg gegen den VfL Bochum feiern konnten. „Immer Vollgas“ habe Trainer Steffen Baumgart gefordert, berichtete Jonas Hector, und dieser schlichte Vorsatz, an dem so viele Fußballer scheitern, scheint die Herzen der Kölner erreicht zu haben. „Jedes Spiel machen wir volle Kraft“, sagte Anthony Modeste.
Schon beim 3:1 gegen Hertha BSC zum Saisonauftakt spielte die im Vergleich zur Vorsaison kaum veränderte Mannschaft wie verwandelt. Beim FC Bayern verloren die Kölner zwar mit 2:3, lieferten aber eine große Show. Nun waren sie gegen den VfL Bochum sechs Kilometer mehr gelaufen, obwohl sie deutlich mehr Ballbesitz hatten (71 Prozent), also nicht dem Spiel hinterherrennen mussten. „Wir hatten eine Chance nach der anderen, da ist es irgendwann zwangsläufig, dass einer reinfällt“, sagte Hector. Während der Pandemie erlebte das Team viele bleierne Monate, nun scheinen Steffen Baumgarts Ideen einen faszinierenden Prozess der Entfesselung in Gang gesetzt zu haben. „Wir haben es in der ersten Hälfte verpasst, den Männerfußball anzunehmen“, sagte Bochums Trainer Thomas Reis, dessen Team lange überfordert war von der imposanten Kölner Energie.
Nach dem Abpfiff badete Baumgart in der Menge der Menschen, am unteren Rand der Haupttribüne, posierte für Selfies. Manche klatschten, andere tuschelten und beobachteten den seltsamen Mann mit der Schiebermütze wie ein fremdes Wesen, das womöglich unheimliche Kräfte hat. Wobei der Magier von Müngersdorf wahrscheinlich einfach nur gute Facharbeit verrichtet. „Am Ende haben wir uns auch mit den Einwechslungen belohnt“, sagte er, und wies auf eine Selbstverständlichkeit hin: „Es gibt nicht nur die erste Elf, sondern alle Spieler.“ Tatsächlich haben sich sehr viele Profis im Vergleich zur Vorsaison verbessert. Der starke Anthony Modeste zum Beispiel, der zweimal den Pfosten traf, oder Louis Schaub, dem das 1:0 gelungen war.
Nach einem guten Jahr mit Köln in der zweiten Liga 2018/2019 wirkte der Österreicher Schaub in seiner ersten Saison in Liga 1 verloren, ließ sich an den HSV verleihen, wo er blass blieb. Im Vorjahr spielte er beim FC Luzern, von wo er nun an den Rhein zurückgekehrt ist, eine wichtige Rolle im Team hatte ihm aber kaum jemand zugetraut. Unter Baumgart spielte er in allen Partien nach seinen Einwechslungen stark und konnte sich am Samstag für den wertvollen Treffer zum 1:0 (82.) bejubeln lassen. Das 2:0 erzielte der eingewechselte Tim Lemperle (90.), den die Kölner selbst ausgebildet haben, die Vorlage gab der eingewechselte Tscheche TomášOstrák, ein anderes Eigengewächs. Seit der legendären Qualifikation für die Europa League im Jahr 2017 hat dieser Klub keinen derart begeisternden Bundesligafußball mehr gespielt.
Skeptiker können nun einwenden, dass Hertha BSC und Bochum derzeit zu den schwächeren Teams der Liga zählen und das Spiel in München trotz guter Leistung verloren ging. Bis zum Ende der Transferperiode am Dienstag droht zudem die Gefahr, dass Ellyes Skhiri doch noch den Verein wechselt, der Tunesier ist der zentrale Taktgeber des Teams, würde aber aufgrund der schwierigen finanziellen Lage verkauft werden, wenn ein Klub deutlich über 10 Millionen Euro bietet. Der süße Augenblick des Erfolges könnte also schnell verflogen sein. Aber mit Baumgart arbeitet wieder ein Trainer in Köln, der die Herzen erreicht. Sowohl innerhalb des Vereins als auch beim Publikum. Und das setzt Kräfte frei, die nicht so schnell verloren gehen werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen