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Archiv-Artikel

HipHop wie Hose

Der Großmeister des guten und schönen HipHop-Wertekonservativismus: Am Freitagabend spielte der Rapper Common im Berliner ColumbiaClub

VON TOBIAS RAPP

HipHop ist ein wertkonservatives Genre. Allen ästhetischen Innovationen und klanglichen Aufregungen zum Trotz – im HipHop schaut man gern zurück und beschwört eine bessere Vergangenheit. Männer sind Männer und Frauen Frauen, das Handwerk hat hier noch goldenen Boden (wenigstens wenn es der real HipHop ist, aber wer würde sich zu etwas anderem bekennen?), und irgendwo hinter dem Horizont wacht der liebe Gott über das Tun seiner Schäfchen. Das ist im politisch-moralischen Sinne vielleicht nicht immer gut, aber doch des öfteren im ästhetischen Sinne schön. Wer etwas anderes erwartet und von Musik etwas anderes will, sollte woanders hingehen.

Das gilt für alle HipHopper, besonders aber für Common, den Großmeister des guten und schönen HipHop-Wertekonservativismus. Schließlich begann er seine Karriere in den frühen Neunzigern mit „I Used To Love H.E.R.“, einem Stück, in dem er schon damals das verlorene Glück der vergangenen Tage beschwor, als HipHop noch rein und unbefleckt war. Es ist ein Konservatismus, der im Falle von Commons HipHop-Auslegung auch Ausdruck eines humanistischen Kerns ist: schließlich ist er einer der wenigen explizit linken Rapper und lässt sich nicht nur oft und gern vor Malcolm-X-Porträts ablichten, sondern hält auch Kontakt zu der Black-Panther-Veteranin Assata Shakur in Kuba und wird nicht müde, das afrikanische Element im HipHop zu betonen – auf seinem vorletzten Album spielte er ein Stück mit Femi Kuti ein, dem Sohn von Fela Kuti.

Und es ist ein HipHop-Entwurf, der seine Größe über seinen Bezug zum Lokalen entfaltet – sowohl auf Commons neuem, von der plattenkaufenden Öffentlichkeit sträflich missachtetem Album „Be“ als auch bei seinem einzigen Deutschlandkonzert am Freitagabend im Berliner ColumbiaClub.

Produziert wurde das Album von Kanye West, und dessen Kunst, die Tracks rund um angepitchte Soulvocals zu gruppieren, passt nicht nur zu Commons Stimme und seinem Flow. Die Anmutung von Melancholie, die in diesen spitzigen Soulschnipseln mitschwingt, schmiegt sich perfekt den Geschichten an, die Common zu erzählen hat: von der Straßenecke, die einmal ein Ort des Politischen war („The Corner“, zusammen mit den alten Black-Panther-Dichtern von den Black Poets), dass man sein soll, wer man ist, und sich von niemandem anderes einreden lassen („Be“, „Real People“ und „They Say“) und von der Liebe – wobei man bei Common nie so richtig weiß, wer denn da jetzt gerade das libidinöse Objekt ist, die Frau, der liebe Gott (der auch weiblich sein könnte, zumindest in „Faithful“) oder eben HipHop.

Im Zweifelsfalle immer Letzteres, denkt man sich während des Konzerts auf jeden Fall, denn auch wenn man es sich gar so nicht recht hinzuschreiben traut: Common lebt HipHop. Vielleicht besser: HipHop ist für Common etwas Ähnliches wie für andere Leute ihre Hose. Er zieht ihn an, er sitzt, er bewegt sich in ihm, und auf Tour schläft er sogar in ihm.

Nicht nur weil Common einer der großen Rapper ist, der seine Eleganz auch nicht verliert, wenn es auf der Bühne einmal laut zu werden verheißt. Nicht nur weil er sich zwischendrin auch mal für einen Backspin auf den Rücken zu werfen weiß. Nicht nur weil er es versteht, über einem entspannten Groove seiner Backingband zu freestylen, weil er das Beatboxing beherrscht und sich auch mal an das Fender Rhodes Piano setzt, um ein kleines Solo zu spielen. Nein, vor allem weil sich der ganze Auftritt von Common so großartig um die kleinste HipHop-Einheit dreht, um das, was am Anfang war und immer noch im Zentrum steht: den Breakbeat.

Immer wieder lässt Common seine Stücke durch den DJ mit klassischen Breaks auflockern, jede Handbewegung von Common, jeder Schwenk seines Körpers, jedes Schulterzucken ist immer synchron zum Break. Das hat eine Souveränität, wie man sie selbst in dem Kreis der Neo-Experimental-Traditionalisten rund um die Band The Roots, mit denen Common lose verbandelt ist, sonst nicht findet.

Eine Souveränität, die sich mühelos in den Griff verlängert, mit dem sich Common den Columbiaclub nimmt, um ihn für einen Abend in seine Basement-Party zu verwandeln – seine Version dieses mythischen HipHop-Utopias, einer Mischung aus Blockparty und Kellersession, Gottesdienst, Clubspaß und politischer Schulung. Vom „Freak, Freak Y’All / And We Don’t Stop / To The Beat Y’All / And We Won’t Stop“ des bouncenden Partytracks über die Scratcheinlage des DJs, der es tatsächlich fertig bringt, minutenlang das „One, Two, Three“ eines alten RunDMC-Stücks vorwärts, rückwärts und seitwärts zählen zu lassen bis zur Slow Jam, für die eine Frau aus dem Publikum auf die Bühne gebeten wird: Common buchstabiert das ganze HipHop-Alphabet durch, und hält seine Basement-Party doch immer offen. Als einen Ort, an dem man genauso das Weib seines Nächsten begehrt wie sich zu beherrschen lernt, an dem man die Hände in die Luft reißt, um sie dann zur Black-Panther-Faust zu ballen.