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Ambivalente Nähe zur Macht

Im Verein ist Kunst am schönsten (13): Die Kunstvereine zählen seit 2021 zum immateriellen Weltkulturerbe. Ihre Erkundungs- und Vermittlungsarbeit macht Gegenwartskunst für jeden erfahrbar – noch bevor sie im Museum einstaubt. Die taz erkundet ihren Beitrag zum norddeutschen Kulturleben in Porträts. Diesmal: Hannover

Seit 1856 im eigenen Haus: Heute bespielt der Verein das gesamte Obergeschoss in der Sophienstraße Foto: Raimund Zakowski/Kunstverein Hannover

Von Bettina Maria Brosowsky

„Eine der ältesten Bürgerinitiativen“: mit diesem Slogan warb der Kunstverein Hannover vor allem in den 1980er-Jahren. In der Tat gingen Impulse zur Gründung im Jahr 1832 von kunstinteressierten Bürgern aus, etwa dem hannoverschen Diplomaten August Kestner: Er kritisierte bereits 1819 die in Hannover herrschende „Barbarei in Beziehung auf die Kunst“. Der Name der alteingesessenen Familie stand dann auch Pate bei dem 1916 gegründeten zweiten Kunstverein am Ort, der Kestner Gesellschaft – einer Reaktion auf den zum „Fossilien-­Club“ verkommenen Kunstverein, so eine zeitgenössische lokale Einschätzung um 1910.

Hannover, seit Oktober 1814 Zentrum eines selbst ernannten Königreichs, hatte im 19. Jahrhundert einen politischen und ökonomischen Aufschwung erlebt. Damit einhergehende gesellschaftliche Modernisierungen waren allerdings, wie so oft in deutschen Landen, nicht mit demokratischen Errungenschaften verbunden. So deuten His­to­ri­ke­r:in­nen die vielen bürgerlichen Vereinsgründungen der Zeit zwar einerseits als Demonstration eines erstarkenden Selbstbewusstseins, anderseits aber auch als resignatives Ausweichen in politisch relativ unverdächtige Gefilde, wie sie etwa die Künste und ihre lokale Förderung darstellten.

Hannovers Kunstverein pflegte von Anfang an eine enge, nicht nur finanzielle Verbindung zur politischen und gesellschaftlichen Macht. Seine Gremien waren mit Amtsträgern wie Kabinettsministern, Kanzleisekretären oder Rittmeistern besetzt. Der lokale Adel zählte zur Mitgliedschaft, ebenso das Bildungs- und Wirtschaftsbürgertum. Diese Allianz bescherte dem Verein sagenhaften Erfolg in seiner Mitgliederzahl – immer mal wieder über 10.000 – und bereits 1856 ein eigenes Domizil: drei große Säle, teils mit musealem Oberlicht, im heute zur Gänze genutzten Obergeschoss des historistischen Künstlerhauses in der Sophienstraße.

Die Nähe zur Macht konnte aber auch in eine Sackgasse führen, so wie während der mehr als 40 Jahre dauernden, autokratisch beratungsresistenten Vorstandstätigkeit des Oberstadtdirektors Heinrich Tramm, nach 1884 bis 1932: Er dominerte Gremien, Jurys oder Ankaufsaktivitäten, degradierte den Kunstverein zum Organ einer kommunalen und vor allem konservativen Kunstpolitik.

Selbst in den künstlerisch entfesselten Jahren der Weimarer Republik, als Kurt Schwitters in Hannover die internationale Avantgarde um seine Merz-Kunst scharte, beschränkte sich das respektierte Spektrum auf deutschen Impressionismus, bestenfalls noch Paula Modersohn-­Becker. Die Kölnische Zeitung nannte den Verein 1928 „vollkommen greisenhaft“.

Statt solchem Rückstand zu begegnen, sah die Vereinssatzung bis weit in die 1970er-Jahre vor, dass stets Hannovers Stadtdirektor den Vorsitz innehatte. Erst 1963 wurde ein unabhängiger Direktor mit eigenem Ausstellungsetat als künstlerische Leitung installiert. 1976 kam mit der gut vernetzten Kulturjournalistin Katrin Sello dann erstmals eine Direktorin ins Haus. Die „rote Katrin“, so eine feministische Internetseite, hievte mit Gespür für den Zeitgeist und nicht zuletzt durch niederschwellige Angebote wie Eat- Art-Aktionen den Kunstverein auf die Höhe aktueller, auch politischer Diskurse. Nachfolger setzten eine Internationalisierung und Professionalisierung fort, wagten mit den Fotos des US-Amerikaners Gregory Crewdson (2005) oder den Rauminstallationen des Belgiers Hans Op de Beeck (2012) sogar Deutschlandpremieren.

Seit 2014 ist Kathleen Rahn Direktorin des Kunstvereins mit aktuell rund 1.400 Mitgliedern. Noch bis Ende Oktober läuft im Haus die 89. „Herbstausstellung“ von Künst­le­r:in­nen aus Niedersachsen und Bremen, die Rahn mit ihrem siebenköpfigen Team erarbeitet hat. Für diese – von manch Vor­gän­ge­r:in wenig geschätzte – seit 1907 gepflegte Veranstaltung aktiviert sie im „Kulturdreieck“ mit Oper und Schauspielhaus frische Räume sowie „Satelliten“ in den Stadtteilen.

Das Ausstellungs-programm ist international, zeigt „die Welt in Hannover“, so die Direktorin

Solche Akzente sollen natürlich auch jüngeres Publikum ansprechen und zum Beitritt motivieren – ein Anliegen vieler Kunstvereine. Es gehöre halt nicht mehr, wie früher, zur gesellschaftlichen Gepflogenheit, als frisch niedergelassener Zahnarzt oder Rechtsanwalt in den Kunstverein zu gehen, so Rahn. In Hannover fehle zudem eine Szene aus Künst­le­r:in­nen und Galerien. Die Stadt steuert mit eigenen Programmen dagegen, der Kunstverein seit 1983 mit drei Arbeitsstipendien seines „Villa Minimo“-Preises in einem Gartenhäuschen in der List, um Künst­le­r:in­nen vielleicht am Ort zu halten. Fünf davon sitzen qua Satzung auch im Beirat.

Das Ausstellungsprogramm ist international, Rahn betont, „die Welt in Hannover“ zu zeigen, stets auf die Räume zugeschnitten. Bereits seit 2015 gibt es begleitende Videoführungen. Die technische Ausrüstung konnte im vergangenen (Corona-)Jahr erweitert werden, eine volle Stelle gilt der Kunstvermittlung. So wurden auch hybride Formate mit kleinem Publikum vor Ort und mitunter 300 Zugeschalteten möglich.

Rahn hofft, nicht neuerlich schließen zu müssen, freut sich über den Kulturentwicklungsplan, Relikt der Bewerbung Hannovers zur Kulturhauptstadt 2025. Zumindest kürzt Hannover nicht bei der Kultur, auch das Wissenschaftsministerium fördert – und so kann die Direktorin planen. Etwa eine längst überfällige Würdigung einer Grande Dame aus Hannover, der oft mit feiner Ironie arbeitenden Bildhauerin und Objektkünstlerin Christiane Möbus; sie soll im April nächsten Jahres eröffnen.

www.kunstverein-hannover.de

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