Zwischen Werther und Chabo

Rap als Literatur: Die HipHopoeten verglichen im Heimathafen Neukölln Goethe mit deutschem Hip-Hop

Von Marielle Kreienborg

Dass Chabos wissen, wer der Babo ist, ist unter jungen Leuten weithin bekannt. Ältere Semester hingegen wissen mit Slang und Sprachcodes ihrer Sprösslinge nur bedingt etwas anzufangen. Das versatile Spektrum von Rap-Lyrics einmal genauer unter die Lupe zu nehmen, im Detail zu betrachten, käme wohl den wenigstens von ihnen in den Sinn. Doch gerade in Zeiten, in denen die 16 Bars vor Sexismus, Drogenverherrlichung, Menschenfeindlichkeit und Materialismus strotzen, lohnt ein Blick zurück zum Ende der Neunziger, Anfang der Nullerjahre, als Master of ceremonies noch etwas zu sagen, nicht bloß zu zeigen hatten: „Der Lauteste von allen“, sangen Blumentopf, „ist nicht immer der Klügste.“ Heute heißt es: „Dealen ist ein muss man / Ich sehe Leute die studiert haben. / Trotzdem mit dem Bus fahren.“

Höchste Zeit also, der guten alten Schule zu gedenken, und sie auf der Sommerbühne im Neuköllner Heimathafen wieder lebendig werden zu lassen. So oder so ähnlich dürften die HipHopoeten, bestehend aus den Schauspielern Markus Gläser, Wolfgang Zarnack und Michael von Bennigsen, empfunden haben, als sie am Wiesbadener Staatstheater die Idee überkam anzutreten, Rap von seinem schlechten Ruf zu befreien, und, ganz nebenbei, die erkalteten Herzen eines Hip-Hop-fernen, Lyrik lesenden Bildungsbürgertums für ein Genre zu erwärmen, das mit ihren Lektüren mehr gemein hat als den altgriechischen Wortursprung. Wort, melos und Rhythmen, lautet die Botschaft, sei in „Nichtsnutz“ von den Massiven Tönen gleichermaßen wie in Wedekinds „Frühlingserwachen“ zu erhaschen, in Eichendorffs „Wünschelrute“ wie in Textas „Text vs. Autor vs. Hörer“. Und spätestens, als sie in geballter Dreieinigkeit Jan Delays „Söhne Stammheims“ anstimmen, glaubt man ihnen.

Zum Einsatz kommen überdies Zitate von Tina Leiser, die sich in ihrer Doktorarbeit Worte und Vinyl mit den kommunikativen Aspekten der Rapmusik in Deutschland beschäftigt hat. Weitere Frauenstimmen – die von Rapperinnen – sucht man jedoch vergebens. Schade eigentlich, denn Zeilen wie Larys „Ich fang an zu labern / erzähl ihn von mein’m Drama /Wie jeder Ex-Freund wegläuft so wie mein Vater /Er fragt dann, wohin er mich fahren kann / Und ich sag Straße, Name, bla bla“ hätten Gehör verdient. Bis dahin haben die HipHopoeten Perlen im Gepäck, die über die fehlenden Frauen im Programm hinwegtrösten, zumindest vorübergehend: David P. von Main Concept, Käptn Pengs geistreiche Sockosophie“, „Leg dein Ohr auf die Schiene der Geschichte“ von Freundeskreis, das soziopolitisch um das Jahr 1973 kreist, ausnahmslos engagierte Musik.

Und zuletzt: Torchs „Blauer Schein“, in dem sich Deutschlands erster Rapper einer Banknote annähert, die es heute nicht mehr gibt. Das System jedoch, das ihr zugrunde liegt, ist das gleiche geblieben: „So viele denken / Ich gehöre ihn’ / Doch sie gehören alle mir / Schau nur wie sie mir dien’“. Manchmal, im besten Fall, ist ein Track lehrreich wie ein Sachtext.

HipHopoesie, Shows unregelmäßig