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Die Wut der kleinen Pinks

Verlieren Chinas Sportler gegen Athleten aus Japan oder Taiwan, ruft ein nationalistischer Mob im Netz zum Hass auf. Die Volksrepublik nutzt den Sport schamlos zur nationalen Propaganda

Aus Peking Fabian Kretschmer

In China kann mittlerweile auch eine Silbermedaille Grund genug für eine tränengeschwängerte Entschuldigung sein. „Das ganze Land hat sich auf dieses Finale gefreut. Ich glaube, unser gesamtes chinesische Team kann das Ergebnis nicht akzeptieren“, sagte der 31-jährige Tischtennisspieler Xu Xin, der gemeinsam mit seiner Partnerin Liu Shiwen im gemischten Doppel gegen Japan verlor.

Der nationalistische Internetmob war außer sich: Zum ersten Mal seit 13 Jahren riss die chinesische Siegesserie, und das ausgerechnet gegen den Erzfeind schlechthin: Das Kaiserliche Japan hatte schließlich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Teile Chinas besetzt und brutale Verbrechen an der Bevölkerung begangen – von Massakern über Massenvernichtungswaffen bis hin zu menschlichen Experimenten. Insbesondere auf Weibo, einer sozialen Plattform ähnlich wie Twitter, schäumten die Emotionen über: Jeder Chinese müsse die „Blutrache gegen Japan im Kopf behalten“, meinte etwa ein User. Andere wünschten sich, dass „diese Insel endlich untergehen muss!“.

Die Wut wird vor allem von der internetaffinen Millennial-Generation angeführt. „Kleine Pinks“ werden die patriotischen Internetuser im Chinesischen auch genannt. Ältere Semester hingegen dürften sich noch sehr gut an die Strategie der sogenannten „Wolfsaufzucht“ erinnern, die der chinesische Tischtennisverband noch in den 2000ern propagierte: Aus Angst, dass die chinesische Dominanz der internationalen Attraktivität des Sports schaden würde, hat man aktiv die Emigration von chinesischen Spielern ins Ausland gefördert und teilweise einige Athleten aus wichtigen Turnieren abgezogen.

Doch solche Nuancen gehen im Online-Diskurs der Volksrepublik längst unter. In den letzten Jahren hat sich die gesellschaftliche Stimmung unter Xi Jinping zudem stark gewandelt. Die politische Führung fördert den neugewonnen Nationalstolz innerhalb der Bevölkerung, der nicht selten in handfeste Fremdenfeindlichkeit kippt – insbesondere auf den stark zensierten sozialen Medien.

Ein dort mindestens ebenso rotes Tuch ist der Inselstaat Taiwan, der von Peking als abtrünnige Provinz betrachtet wird, die es notfalls auch mit militärischem Zwang wiederzuvereinigen gilt. Umso schmachvoller nahmen viele chinesische Netizens am Samstag die Niederlage gegen die Taiwaner Lee Yang und Wang Chi-lin im Badminton-Doppel-Finale auf. „Gegen Taiwan zu verlieren war eine Schande. Ich hoffe, dass wir uns daran erinnern werden: Taiwanesen sind nicht unsere Geschwister, sondern Feinde“, lautete darauf ein viel gelikter Kommentar auf Weibo. Er gehörte noch zu den freundlicheren Postings.

Taiwans Athleten dürfen auf Druck Pekings nur unter dem Namen „Chinesisch Taipeh“ antreten und auch die offizielle Flagge nicht verwenden. Als die Sportler bei der Öffnungszeremonie in Tokio das Stadium betraten, drehte Chinas Streamingdienst Tencent kurzerhand die Übertragung ab – und schaltete kurzerhand auf eine beliebigen Sport-Talkshow um. Doch da die Zensoren nicht rechtzeitig reagierten, verpassten die Zuschauer versehentlich auch den Einlauf der Delegation Festlandchinas.

Die Politisierung der Olympischen Spiele zieht sich in China wie ein roter Faden durch die Sportveranstaltung. Das chinesische Konsulat in New York veröffentlichte etwa eine vor Wut schäumende Attacke gegen den US-Fernsehsender NBC, weil dieser eine China-Karte ohne Taiwan und die Territorien im Südchinesischen Meer verwendet hat. Der chinesische Gewichtheber Shi Zhiyong widmete etwa seine Goldmedaille der Kommunistischen Partei, die dieses Jahr ihr hundertstes Gründungsjubiläum feiert. Und am Montag haben zwei Siegerinnen des chinesischen Bahnrad-Sprints auf dem Podium Anstecknadeln mit dem Konterfei Mao Tse-tungs getragen. Das Internationale Olympische Komitee, stets auf politisch neutrale Spiele bedacht, prüft nun einen möglichen Regelverstoß.

Dabei sind die nationalistischen Untertöne nur ein Vorgeschmack für kommenden Winter: Dann nämlich finden die Olympischen Spiele in ­Peking statt.

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