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Wie bastle ich mir eine Exklusivmeldung? Ein Schnellkurs mit Hilfe der „Bild am Sonntag“
1. Man suche sich einen per se nachrichtenschwachen Tag. Ein Sonntag zum Beispiel ist dafür hervorragend geeignet. Am Sonntag erscheinen nur ganz wenig Zeitungen und auch sonst ist nicht viel los, weil doch alle im Wochenende sind. Außerdem erscheinen am Montag wieder ganz viele Zeitungen, die sonntags in unterbesetzten Redaktionen angefertigt werden und trotzdem voll mit Neuigkeiten sein sollen. Das Coolste am Sonntag aber ist, dass es die anderen schwer haben werden, irgendwen für eine Rücksprache (Bestätigung, Dementi, Details) zu erreichen, weil doch alle im Wochenende sind.
2. So lese man in den Tagen vor der geplanten Exklusivmeldung aufmerksam andere Zeitungen. Irgendwas ist immer. Und oft sind andere besser informiert als man selbst. Oder haben einen gut sortierten Terminplan. Stößt man dabei auf irgendwas, was allseits bekannt, aber noch nicht spruchreif ist: Bingo!
3. Den Zeitpunkt für die geplante Exklusivmeldung lege man unbedingt vor (!) die zu erwartende offizielle Bekanntmachung!
4. Beim Verfassen der geplanten Exklusivmeldung unbedingt Wörter wie „möglicherweise“, oder „aller Wahrscheinlichkeit nach“ streichen! Dass irgendwer „die Angaben auf Anfrage nicht bestätigen“ will: auch streichen!
5. Aber Vorsicht, jetzt kommt der schwierige Teil: die Glaubwürdigkeit! Wer in einer geplanten Exklusivmeldung einfach drauflosbehauptet, wird ausgelacht. Aussagekräftige O-Töne von Betroffenen hingegen sind super! Aber sie sind rar – zumal bei populären, nicht spruchreifen Themen. Kriegt man so eine geplante Exklusivmeldung partout nicht bestätigt, gehört sie nicht in die Zeitung, sondern in den Papierkorb!
5 a. Oder man macht’s wie die Bild am Sonntag: Nachdem nämlich vor anderthalb Wochen im Tagesspiegel stand, dass am 15. Juli entschieden werde, ob der Vertrag mit Jürgen Fliege für seine Nachmittagstalkshow in der ARD verlängert werde, und wenig später die Meldung verbreitet wurde, dass „möglicherweise“ beziehungsweise „aller Wahrscheinlichkeit nach“ am 26. September in der ARD auf dem „Fliege“-Sendeplatz eine neue Telenovela starten solle, meldete die BamS vorgestern exklusiv und ohne Quellenangabe: „ARD schmeißt TV-Star Fliege raus“! Wie zum Beweis druckte sie dazu einen O-Ton von Jürgen Fliege („Ich werde mich nicht ins Kämmerchen der Depression zurückziehen. Es wird für mich immer etwas Neues geben.“). Und dass das Zitat wortwörtlich schon drei Monate vorher – damals als Was-wäre-wenn-Antwort – in der BamS gestanden war, was soll’s.
6. Das Tolle daran ist: Wenn die ARD am Tag nach so einer „Exklusivmeldung“ das offene Geheimnis ums „Fliege“-Aus offiziell macht und mitteilt, dass Flieges Vertrag fürs Jahr 2006 nicht verlängert, seine Talkshow „gegen Ende des Jahres“ eingestellt wird, weil die Quote „hinter den Erwartungen“ zurückblieb, denken hinterher trotzdem alle, die BamS sei bestens informiert gewesen …
Gestern gab die ARD bekannt, dass die Talkshow „Fliege“ zum Jahresende eingestellt wird.
CHRISTOPH SCHULTHEIS