berliner szenen: Candy Crush und Schalke
Der Tag war erfolgreich gewesen: Ich hatte im Internet geguckt, wie viel ein Miniport-to-HDMI-Adapter gekostet und den Laptop mit dem Fernseher verbunden. Ich hatte den Müll von dem runden Tisch auf den Boden geräumt, den Tisch auf den Kopf gestellt und die Holzteile, die ich vor mehren Jahren an die Beine des Tischs geklebt hatte, wieder abgebrochen. Ich hatte Laptop, Maus und Tastatur auf den Tisch gestellt, den Fernseher angestellt und fast wehmütig in meinem optimierten Zimmer, den Stream von GM Hikaru im Fernseher geguckt.
Der fünfmalige amerikanische Meister war nicht nach Baku geflogen, sondern kommentierte den Fide World Cup von Florida aus. „Desaster.“ Bei dem Turnier, mit dem der Weltschachverband sozusagen in den Offlinemodus zurückkehren wollte, hatte es mehrere Coronafälle gegeben. Ein indonesischer Spieler hatte sein positives Testergebnis erst während des Matchs erhalten, das Spiel wurde sofort abgebrochen, die Spieler in Quarantäne geschickt und sein Gegenspieler, Levon Aronian, zum Sieger erklärt. Aronian hatte tags darauf das Turnier wegen „hohem Fieber und Mandelentzündung“ abgebrochen, wie er twitterte. Auch zwei indonesische SpielerInnen waren „freiwillig“ – also ohne positiv auf Corona getestet zu sein – vom Turnier zurückgetreten.
Ich schaltete den Stream wieder aus und spielte noch ein paar Partien im Fernsehen auf dem blau-weißen Bonbonbrett, das an Candy Crush und Schalke erinnert.
Ich setze es oft ein, wenn ich müde werde. Vielleicht spielte ich etwas aufmerksamer, als ein paar Stunden zuvor am Schreibtisch. Keine Ahnung. Nach einer Weile taten mir die Augen weh, weil die Brille für den Schreibtisch eingestellt ist. Und ich guckte dann wieder Fernsehen. Nein, Netflix; die Serie „Narcos“. Detlef Kuhlbrodt
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