: So cool wie klischiert
Die kulturelle Kraft der schwarzen Widerstandskämpfe und Bürgerrechtsbewegungen der Sechziger- und Siebzigerjahre: Die Ausstellung „Back to Black“ in der Whitechapel Art Gallery in London
VON JULIA GROSSE
Die amerikanische Politikerin und Aktivistin Angela Davis beschwerte sich einmal darüber, dass schon die erste Generation nach der Bürgerrechtsbewegung ihren Afro, eines der Symbole der schwarzen Bürgerrechtsbewegung, plötzlich nur noch als glamouröses Retro-Accessoire empfunden habe. Dieser Tage erscheint ihr Porträt immer wieder auf Plakaten in Londons Innenstadt, die prominenten Gesichtszüge per Siebdruck ästhetisch verfremdet und in schickes Pink und Lila getaucht: Die Whitechapel Art Gallery macht die politische Ikone zum attraktiven Lockvogel ihrer Ausstellung „Back to Black“ und provoziert damit gerade jene zeichenhafte Reduzierung, über die sich Davis so aufregte.
Warum Kurator Richard J. Powell, renommierter Kenner der afrikanisch-amerikanischen Kunstgeschichte von der Duke University in Durham, sie dennoch für den Titel wählte, ist nur eine der offenen Fragen, die man an diese Ausstellung hat. „Back to Black“ sucht nach den Einflüssen der schwarzen Widerstandskämpfe und Bürgerrechtsbewegungen auf die Kulturproduktion in den USA, England und Jamaika der 60er- und 70er-Jahre. Das ist zunächst einmal ein höchst spannendes Thema, da die kulturelle Kraft des amerikanischen Black Arts Movement Jamaika und England zwar beeinflusste, aber trotz eines gemeinsamen kulturellen Erbes die verschiedenen Migrationsbewegungen über den Atlantik ganz unterschiedliche Arbeitsweisen mit den Symbolen Widerstandes hervorgebracht haben. Während Künstler in den USA den Kontinent Afrika als kulturellen Ursprung wiederentdeckten, wurde die schwarze britische Kulturproduktion ebenso entscheidend durch den Einfluss der Karibik geprägt.
Aber statt gerade die Auswirkungen der verschiedenen regionalen Sozialisierungen auf die Arbeit der Künstler in Jamaika, England und den USA herauszustellen, entscheidet sich „Back to Black“ lieber für eine klischiert coole, einheitliche Black-World-Ästhetik aus gefälligen „Shaft“- und „Superfly“-Filmausschnitten, Miles-Davis-Plattencovern und Hipster-Outfits. Zwar will man zeigen, welcher politische Subtext in der Kleidung, der geballten Faust oder dem Frisieren der Haare als Zeichen schwarzen Selbstbewusstseins steckte, doch wirken die reichlich zusammengetragenen Fotografien, Kleider, Bilder, Filme, Gemälde oder Skulpturen nur dekorativ sinnentleert: Der Widerstand wird zum erschreckend leicht konsumierbaren Bling-Bling-Bazaar. Im Eingangsbereich der Schau stehen schwarz angesprühte Schaufensterpuppen mit Afroperücken, die Stephen Burrows selbstbewusst-aufreizenden Streetstyle aus den 70er-Jahren so leblos tragen wie H & M-Modelle. Daneben hängen die viel zu selten ausgestellten fotorealistisch gemalten Zeitzeugen von Barkley L. Hendricks in ihren perfekten Style-Inszenierungen als Zeichen sozialer Maskerade – und sehen neben den Puppen plötzlich aus wie Pin-ups der Popkultur. In einem extra eingerichteten Kino laufen Schnipsel aus Blaxploitation-Klassikern. Mit diesem Genre riss die Filmindustrie das vernachlässigte Marktsegment des schwarzen Konsumenten an sich und kodierte „weiße“ Hollywoodhits für ein schwarzes Publikum um. Doch statt wichtiger, weniger bekannter Beispiele gibt es tatsächlich vor allem längst wieder verfilmte Kassenschlager, wie Gordon Parks „Shaft“ (1971) oder Jack Hills „Foxy Brown“ (1974).
Zu oft verlässt sich „Back to Black“ auf die Kraft der Bilder, wird versäumt, Erklärungen mitzuliefern. So verstärkt die Tatsache, dass Angela Davis als amerikanische Ikone des schwarzen Widerstands mit dem 1974 entstandenen Siebdruck ihres Gesichts nun fürs Ausstellungsplakat herhalten muss, die falsche Vermutung, aller Einfluss sei von den USA ausgegangen. Eine unkommentiert bleibende Fotografie des „Godfather of Black-British-Filmmaking“, Horace Ové, zeigt den umstrittenen Aktivisten und Gründer der britischen Black-Power-Bewegung, Michael X, und seine Mitglieder am Bahnhof in London-Paddington. Die Energie dieser Gruppe, die da 1968 an den staunenden Passanten vorbeimarschiert, erweckt den Eindruck, die Bewegung habe auch auf der Insel ähnliche Präsenz besessen wie in den USA. Dass das allerdings nicht der Fall war, erfährt man höchstens im Katalog.
Tatsächlich haben die meisten Künstler, die in „Back to Black“ ausgestellt sind, ähnlich wie jene in „Africa Remix“, die bis April in London lief, nicht viel mehr gemeinsam als ihre kulturelle Differenz. So hängt das „Self-Portrait Exaggerating My Negroid Features“ (1981) der Performancekünstlerin Adrian Piper in „Back to Black“ an der Wand wie ein kraftloses Pflichtstück. Nur wenige Kilometer weiter ist Piper mit ihren frühen konzeptuellen Arbeiten in der Tate-Modern-Gruppenschau „Open Systems“ zu sehen. Und hier scheint es plötzlich zu funktionieren, dass man die ganz individuelle Arbeit eines schwarzen Künstlers zeigen kann, ohne darauf zu verweisen, dass dessen ganzes Tun und Handeln stets seiner diasporischen Erfahrung zugrunde liege.
Im Grunde wirkt „Back to Black“ wie eine große Pflichtveranstaltung im Rahmen von „Africa 05“. Dieses seit Anfang des Jahres in Großbritannien laufende Programm, das zeitgenössische und vergangene Kulturen der Diaspora feiert, nimmt alle großen Museen und Konzerthäuser für zwölf Monate in die Pflicht, affirmative Projekte zum Thema auf die Beine zu stellen. Auch nicht rein zufällig fällt das ehrgeizige Großprojekt zusammen mit Tony Blairs auffälligem Engagement für Afrika, das jetzt sogar herhalten muss als Argumentationshilfe für Blairs Forderung nach einer Neuregelung der EU- Agrarsubventionen. Spätestens gegen Ende des Jahres wird der Kontinent zumindest von der Agenda der britischen Kulturpolitik wieder verschwunden sein, und dann, so ahnen es bereits jetzt einige Kulturproduzenten, wird es für eine lange, lange Zeit sehr schwierig, Projekte zu realisieren, die „Black“ und „Africa“ auch nur im Titel tragen. Auch wenn sie vielleicht besser und durchdachter sind als das, was bei „Africa 05“ zu sehen ist.
Bis 4. September , Whitechapel Art Gallery, London