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ZWISCHEN DEN RILLENBeton und Bodenhaftung

Messer: „Im Schwindel“ (This Charming Man/Cargo)

Seltsam, aber Münster, diese kleine Stadt im Westfälischen, die zu einem Drittel aus Katholiken, zu einem weiteren aus Studenten und Fahrradfahrern (meist in Personalunion) und zum letzten Drittel aus Skateboardern und Apologeten des Punk besteht, hatte schon immer einen beachtlichen Output an ungewöhnlichen Bands: Muff Potter, die Donots, Dramamine oder Ghost of Tom Joad. Sie alle sind oder waren in Münster angesiedelt, diesem beschaulichen Nest der Spießigkeit, das aber gelegentlich auch ein paar zünftige Gegenwelten zum gepflegten Vorgarten hervorgebracht hat.

Die Band Messer wäre ein aktuelles Beispiel. Und was für eins. So fies und anschaulich in der Wut klingt die Musik, dass sie auch über Münster hinaus einschlagen wird. „Im Schwindel“ heißt das Debütalbum des Quartetts. Messer entpuppen sich darauf als deutsch singende Postpunk-Band, die den Minimalismus von Bands wie den Fehlfarben in den frühen 80ern mit dem Sound von Deutschpunk-Helden wie Dackelblut vereint.

Mit Hendrik Otremba steht den Münsteranern ein charismatischer Sänger vor, die andere Hälfte der Miete besorgen krautrockig grundierte Gitarren, ein dominanter Bass und ein reduziertes, punktgenaues Schlagzeug. „Im Schwindel“ klingt nach Beton und Bodenhaftung.

Messer spielt sich musikalisch schwindlig und kümmert sich eher um die Gassen und Gossen als um die Prunk-Fassaden ihrer Heimatstadt. Sie erblicken dort „ein schiefes Haus mit Löchern in der Wand / abgeplatzter Stein / eine blutige Hand.“ Der kehlige Gesang Otrembas wird von einem effektreichen Gitarrensound unterstützt, für den Pascal Schaumburg und eine Pedal-Palette verantwortlich sind. Dazu kommen simple, knarzige Bassläufe ganz in Postpunk-Manier. Otembra krächzt und schreit, er singt von zerkratzten Egos und beschädigten Menschen: „Kaputte Arme, zerschundene Knie / eine Träne im Auge / und manchmal einen im Tee“, so heißt es in „Mutmaßungen über Hendrik“.

Angenehm unhip mutet das an, und – dem Bandnamen trotzend – es ist natürlich das Ungeschliffene, das Messer interessant macht, musikalisch wie textlich. Das Schlagzeugspiel Philipp Vuhts ist punkig, eigenwillig und charakteristisch – Otrembras Gesang sowieso. Er singt von der „Wut, die mich zerfrisst / weil das Leben eine Lüge ist“. Was bei zweitklassigen Crustpunk-Bands schnell zum peinlichen Seelenstriptease werden könnte, wirkt bei Messer glaubwürdig. Das erinnert dann eher an die Haltung der Berliner Band Mutter – ohne deren ironische Fußnote allerdings. Angry young men funktionieren also auch 2012 noch. Diese wütenden jungen Musiker können anscheinend gar nicht anders – und das hört man mit jedem gutturalen schiefen Ton, der sich durch die Membrane ätzt. Messer bündeln damit alle Stärken des Punk. Das wird auch in fünfzig Jahren noch funktionieren, wie auch immer die Musik dazu klingt. Messer-Texte sind wie unbeugsame Lyrik (ein Stück wird auch eingesprochen) – und wenn Lyrik heute (in Deutschland) zu einer Stubenhockerdisziplin geworden ist, ist man froh, dass es eine Band wie Messer gibt, die Lyrik auf die Bühne wirft.

Kleine, klare Verszeilen zur alltäglichen Verzweiflung und Platz für Rückzugsgefechte gibt es auch. „Ich will nur einen Raum mit einem Plattenspieler / eine Matratze und ein Buch / und ihr seht mich nie wieder“, heißt es etwa in „Fieberträume“. Die Zeichen stehen auf Mittelfinger. Eine Kultur der Flüchtigkeit lehnt Messer genauso ab wie eine Arbeitswelt, die keine Sekunde lang ohne Verwertungsschemata denkbar ist.

Ist das also gestrig, weil man zeitgeistig nicht sein kann? Was das Musikalische betrifft, wünschte man sich an der einen oder anderen Stelle tatsächlich ein bisschen mehr Gegenwartsbezug. Oder ein bisschen mehr Zukunft. Aber die Haltung stimmt. Und die Fans verteilen bereits jetzt Komplimente. Einer wird auf der Band-Website mit den Worten zitiert: „Messer sind die einzige Studentenband, der ich nichts an die Mappe hauen will!“ So könnte man es auch sagen. JENS UTHOFF

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