: Genossen und Genüsse
FEIERN Der erste Samstag im Juli ist seit 1923 internationaler Genossenschaftstag. Die taz ist beim 1. Bremer Genossenschaftstag auf dem Marktplatz mit einem Stand vertreten
VON DIERCK WITTENBERG
Ursprünglich waren Genossenschaften Reaktionen auf größte wirtschaftliche Not in Zeiten der Industrialisierung. Sozialisten wie Robert Owen und Ferdinand Lassalle sahen in genossenschaftlichen Organisationen noch Alternativen zur kapitalistischen Warenwirtschaft. Dagegen waren die beiden Männer, die das Genossenschaftswesen in Deutschland geprägt haben, sozialistischer Bestrebungen unverdächtig: Mitte des 19. Jahrhunderts gründete Friedrich Wilhelm Raiffeisen, ein christlich denkender preußischer Ministerialbeamter, im Westerwald einen „Hülfsverein“ für die verarmte Landbevölkerung. Zeitgleich schuf Hermann Schulze-Delitzsch, Jurist und linksliberaler Politiker, Kreditvereine für Handwerker und Kleingewerbetreibende.
So wie sich die daraus entstandenen Volks- und Raiffeisenbanken zu größeren Verbänden zusammenschlossen, ging der Trend in Deutschland lange zu immer weniger, dafür größeren Genossenschaften. Von noch 26.000 Genossenschaften im Jahr 1950 blieben zwischenzeitlich weniger als 6.000. Mit einer Gesetzesreform im Jahr 2006, durch die Gründungen einfacher wurden, kehrte sich dieser Trend um. Mathias Fiedler vom Zentralverband deutscher Konsumgenossenschaften führt das vor allem darauf zurück, dass mit der Gesetzesänderung das Genossenschaftswesen wieder eine stärkere Öffentlichkeit erfuhr: „Das Wichtige war die Berichterstattung.“
Heute gibt es in Deutschland wieder über 7.500 Genossenschaften, im Land Bremen sind es nach Angaben des Senats 32. Bundesweit haben Genossenschaften über 20 Millionen Mitglieder, auch weil Volks- und Raiffeisenbank-Kunden sowie Mieter bei Wohnungsbaugenossenschaften dazugezählt werden. Einen weiteren Grund für das Comeback des genossenschaftlichen Wirtschaftens sieht Fiedler in der gegenwärtigen Finanzkrise. Zu deren Gewinnern gehören die Volks- und Raiffeisenbanken. Laut Fiedler „ein gutes Sinnbild dafür, dass die Menschen in der Krise genossenschaftliche Werte wiederentdecken“. Auch findet genossenschaftliches Wirtschaften mittlerweile über die klassischen Branchen wie Landwirtschaft, Handel und Wohnungsbau hinaus insbesondere im Energiebereich Anklang. So sind am Samstag mit der Bremer Energiehaus-Genossenschaft, Solar Popular und der Uni Bremen Solar gleich drei Bremer Gründungen aus diesem Bereich vertreten.
Für die Gründung einer eingetragenen Genossenschaft bedarf es mindestens drei Personen, die dann zugleich Eigentümer und Kunden sind. Es gibt kein Mindestkapital, und die Genossen haften nicht mit ihrem Privatvermögen. Von einer Kapitalgesellschaft unterscheidet sich die eingetragene Genossenschaft durch ein Mehr an Basisdemokratie. Grundsätzliche Entscheidungen werden von den Mitgliedern getroffen. Dabei hat jeder eine Stimme – unabhängig davon, wie viel Geld man investiert hat. Laut Gesetz muss eine Genossenschaft die wirtschaftlichen oder ideellen Zwecke ihrer Mitglieder fördern.
Ein solcher gemeinsamer ideeller Zweck kann die Lektüre einer unabhängigen Tageszeitung sein. Als die taz 1992 eine Genossenschaft wurde, war diese Idee intern keineswegs unumstritten. So argumentierten seinerzeit einige tazler für die Überführung in eine Aktiengesellschaft. Mittlerweile hat die taz-Verlagsgenossenschaft über 11.900 Mitglieder, Tendenz steigend. Sie hält ein Eigenkapital von über 10 Millionen Euro – einer der Gründe dafür, dass die taz im kriselnden Zeitungsmarkt stabil dasteht. Zudem ist sie als Genossenschaft vor einer Übernahme geschützt.
■ Samstag, 11–18 Uhr, Marktplatz