berliner szenen: Berlin kommt an in Gerswalde
Es ist sehr ländlich hier. Wenn wir im Ort jemandem begegnen, dann kennen wir ihn, zumindest haben wir ihn schon mal gesehen. Vor dem kleinen Dorfladen nehmen wir gern unser Frühstück ein, treffen den einen oder anderen Bekannten. Doch heute ist es nicht wie sonst. Als ich mit den belegten Brötchenhälften und dem Filterkaffee aus dem Laden komme, haben davor zwei schwere Limousinen geparkt.
Schwarze Audis mit Berliner Kennzeichen, mehr PS geht nicht. Drum herum ein knappes Dutzend muskulöser Männer, alle in schwarzen Klamotten, Tätowierungen, Glatze oder die schwarzen Haare an den Seiten kurz geschoren, äußerst akkurat und sauber. Teure Smartphones sind aktiv, geschäftige Gespräche, alle rauchen. So was hat man hier im Dorf noch nicht gesehen. Wie ein Besuch von einem anderen Stern. Meine Frau und ich rätseln, was los ist. Erweitern die Neuköllner Clans jetzt ihre Kampfzone? Oder blicken wir nur in die Fratze unserer eigenen Vorurteile?
Ich will es wissen und wende ich mich an den Ältesten, wohl der Chef der Truppe. Der ist wortkarg: „Security.“ Aber hier in Gerswalde, was soll hier sein? „Film, Dreharbeiten.“ Aber so viel Security für einen Filmdreh? „Leute fern halten, Neugierige blocken.“ „So Leute wie mich?“, frage ich. Er zögert. „Ja, ja“, antwortet er dann etwas verunsichert.
Man muss wissen, ich bin 79 Jahre alt, weißhaarig, sehr dünn und offensichtlich nicht mehr im Vollbesitz meiner körperlichen Kräfte. „Werdet ihr denn mit mir fertig?“, setze ich nach. Alle starren mich ungläubig an. Ich wiederhole: „Werdet ihr denn mit mir fertig.“ Der Chef begreift als erster, dass das nur ein Scherz sein soll. „Der war gut“, sagt er und spendiert mir ein kurzes „Ho, ho“. Da lachen auch die andern ein bisschen und wir verabschieden uns.
Detlef Wittenberg
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