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Archiv-Artikel

Die demokratische Wende

ENERGIE Selbstversorgung mit Strom und Wärme steckt noch in den Anfängen, macht aber große Fortschritte. Das Genossenschaftsmodell bietet dabei größtmögliche Sicherheit

So funktioniert die eG

■ Innerhalb von gerade mal drei Jahren hat sich die Zahl der Energiegenossenschaften in Deutschland auf rund 600 vervierfacht.

■ Vorreiter mit aktuell 151 Energiegenossenschaften sind ländliche Regionen in Bayern, gefolgt von Baden-Württemberg und Niedersachsen.

■ Die eingetragene Genossenschaft (eG) gilt als besonders demokratische Rechtsform, da in der Generalversammlung jedes Mitglied nur eine Stimme hat – unabhängig von der Anzahl seiner Anteile.

■ Für die erhalten die Mitglieder eine jährliche Dividende und nur mit ihrer Einlage haften sie für Verbindlichkeiten.

■ Allerdings gelten Genossenschaften als besonders insolvenzsicher. Das mag auch daran liegen, dass der zuständige Genossenschaftsverband die Gründung der eG intensiv begleitet.

■ Dafür müssen ein tragfähiger Businessplan und eine Satzung mit individuellen Regelungen erstellt und beide vom Genossenschaftsverband geprüft werden.

■ Abschließend erfolgt der Eintrag ins Genossenschaftsregister.

Neue Genossen aufzunehmen ist unkompliziert: Der Vorstand muss lediglich den ausgefüllten Mitgliedsantrag bestätigen. (ks)

www.neuegenossenschaften.de www.energiegenossenschaften-gruenden.de

VON KRISTINA SIMONS

Immer mehr Bürger, aber auch Kommunen und Landkreise nehmen ihre Energieversorgung selbst in die Hand. Gemeinsam finanzieren sie Fotovoltaik- oder Biomasseanlagen, Windparks oder Nahwärmenetze. Gerade bei denjenigen, denen es nicht nur um finanziellen Profit geht, sondern auch oder gerade um sozialen und ökologischen Gewinn, stehen Energiegenossenschaften dabei hoch im Kurs.

Echte Bürgerbeteiligung

Ein aktuelles Beispiel: Die Genossenschaft BürgerEnergie Berlin eG i. G. (BEB), die das gesamte Stromnetz in der Hauptstadt übernehmen will. „Stromnetze gehören in Bürgerhand“, sagt BEB-Vorstand Luise Neumann-Cosel. Solle die Energiewende gelingen, brauche es nicht zuletzt auch eine echte Bürgerbeteiligung. „Die Gestaltung unseres zukünftigen Energiesystems ist nicht allein Sache von Politik und Wirtschaft, sondern eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Wir Bürgerinnen und Bürger wollen aktiv mitgestalten und für eine zukunftsfähige Energielandschaft sorgen.“

Ähnliches plant die 2011 gegründete Oldenburger Energiegenossenschaft eG (Olegeno): Sie will das Strom- und Gasnetz übernehmen, wenn 2013 der Konzessionsvertrag zwischen der Stadt Oldenburg und dem derzeitigen Netzbetreiber EWE ausläuft. „Da wir das Oldenburger Strom- und Gasnetz in Bürgerhand bringen wollen, ist die Genossenschaftsform für uns der konsequente Weg. Unsere Energiegenossenschaft ermöglicht ein Maximum an Demokratie“, sagt Jan Knöttig von der Olegeno.

Diese Rechtsform bietet den Vorteil, dass sich viele verschiedene Akteure – Kommune, Bürger, Rohstofflieferanten, Unternehmen – schon mit überschaubarem finanziellen Aufwand engagieren können. So haben sich zum Beispiel gleich vierzehn Städte und Gemeinden sowie zwei Stadtwerke auf Initiative der Stadtwerke Grafenwöhr in der oberpfälzischen NEW – Neue Energie West eG zusammengeschlossen. Bis 2030 wollen sie die gesamte Energieversorgung der Region auf erneuerbare Energien umstellen – mit Sonnenstrom und künftig auch mit Nahwärmenetz und Biomasseanlage.

Kommunen und Stadtwerke sind jeweils mit mindestens 5.000 Euro an der NEW beteiligt. Die Bürger können sich mit Anteilen à 500 Euro an einer zweiten Genossenschaft beteiligen, der Bürger-Energiegenossenschaft West eG (BEW).

Holz fürs Dorf: Wer mitmacht, profitiert von einem langfristig stabilen Preis

In der baden-württembergischen Energiegenossenschaft Weissacher Tal haben sich Bürger und Kommune zusammengeschlossen und betreiben vorwiegend auf Dächern öffentlicher Gebäude mittlerweile zehn Fotovoltaikanlagen. Die Mitglieder zahlen pro Geschäftsanteil gerade mal 50 Euro. Als Genossenschaft von Bürgern für Bürger versteht sich die 1999 gegründete Energiegenossenschaft Lieberhausen eG. Ziel war es damals, ein Holzhackschnitzel-Heizwerk mit angeschlossenem Nahwärmenetz zu errichten und so das gesamte Dorf mit erneuerbarer Energie zu versorgen.

Die Motivation zur Gründung der Genossenschaft erklärt Mitinitiator und Vorstand Bernd Rosenbauer so: „Die Menschen vor Ort sollten direkt mitentscheiden können und sich aktiv beteiligen. Genau das ist mit dem Genossenschaftsmodell möglich.“ Es fanden sich genug Bürger, die sich an der eG beteiligen wollten. Sie waren dafür bereit, sich an das Nahwärmenetz anzuschließen und jeweils 5.500 Euro aufzubringen. Schließlich profitieren sie angesichts steigender Preise für fossile Energieträger von einem langfristig stabilen Wärmepreis.

Auch die Ökostromanbieter Elektrizitätswerke Schönau (EWS) haben 2009 mit der Netzkauf EWS eG eine Genossenschaft gegründet und so eine Möglichkeit für Bürger geschaffen, sich direkt am Strom- und Gasnetz und an der Erzeugung regenerativen Stroms zu beteiligen. Gemeinsam arbeiten sie an der Energiewende von unten.