: Auch Frauen können bauen
Baugewerbe ist traditionell immer noch Männermetier. Das Women-in-Architecture-Festival gibt einen Monat lang mit Ausstellungen und Diskussionen Einblicke in weibliche Baukunst
Von Renata Stih
Architektur und Baugewerbe, das sind auf der einen Seite raue, muskulöse Kerle, die im Unterhemd hoch oben so ungeniert auf Stahlträgern herumlaufen wie unsereins auf dem breitesten Trottoir; und auf der anderen feine Herren in edlen Designeranzügen, aufgeknöpften weißen Hemden und handgearbeiteten Schuhen, die vor andächtig lauschendem Publikum ihre Theorien und passenden Bauten präsentieren: alles Männer, die wissen, wo es langgeht. Dieses Bild ist tief in der bundesdeutschen Gesellschaft verbreitet und trägt dazu bei, dass Ingenieurinnen und Architektinnen wenig respektiert oder nicht so wie ihre männlichen Kollegen wahrgenommen werden.
Dabei arbeiten heute mindestens so viele Frauen wie Männer im planenden Baugewerbe. Genauso sieht es bereits im Architekturstudium an deutschen Universitäten und Hochschulen aus, wo Frauen mittlerweile die Mehrheit der Studierenden darstellen. Unter den führenden Architekturbüros in Deutschland aber gibt es kaum welche, die allein von einer Frau oder einem Team aus Frauen geführt werden.
Insgesamt gesehen schuften Frauen unermüdlich in Architekturbüros als omnipotente Angestellte und stets einsatzbereite Alleskönnerinnen. Das Einkommen der angestellten Architektinnen ist ein Drama und liegt bei ca. 30 Prozent unter dem ihrer männlichen Kollegen, wie in vielen anderen Bereichen auch.
Dem will nun das Berliner Festival WIA – Women in Architecture (Frauen in der Architektur) entgegenwirken und hat sich zum Ziel gesetzt, die Gleichstellung von Frauen in der Architektur zu fördern und ihre vielfältige Arbeit in der Gesellschaft bewusst zu machen. Das ist gewiss nötig, schließlich ist die Baubranche wirtschaftlicher Motor des Landes, ein Riesengeschäft und entsprechend auch ein hartes, sensationslüsternes Gewerbe, in dem Selbstdarstellung existenziell ist.
Schirmfrau des Festivals ist die Karrierefrau Regula Lüscher, Senatsbaudirektorin und Staatssekretärin in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen Berlin. Sie forderte in ihrer Rede zur Eröffnung des Festivals Chancengleichheit auf allen Handlungsebenen ein, weil die Gesellschaft als divers und die Stadt als soziale Bühne zu begreifen sei. Das Geschlecht der Autorenschaft dürfe im 21. Jahrhundert keine Rolle mehr spielen, befand sie.
Elke Duda, WIA-Koordinatorin, Mitglied und Mitgründerin vom „Netzwerk von Planerinnen n-ails“ versteht das Festival als Bühne für Auseinandersetzungen mit Bauwerken von Frauen, als Plattform für mehr Sichtbarkeit der vielschichtigen Leistungen von Frauen, weg vom Starkult, hin zu mehr Teamwork. Daher ist die Stärkung der beruflichen Vernetzung bedeutend, der den Protagonistinnen den Schritt in die Selbstständigkeit oder den Weg in Führungspositionen ebnen soll. Schließlich wird Multitasking, das besonders das Bauen definiert, als ein typisch weibliches Charakteristikum definiert.
Mit über 60 Veranstaltungen den ganzen Juni über stellt das Festival selbst schon eine große organisatorische Leistung unter Beweis, und das mitten in der Pandemie. Daran beteiligt sind Fachfrauen aus Berlin und Bundesorganisationen, Verbände, Kammern, Vereine und dazu weibliche Kompetenz aus den Bereichen Architektur, Innenarchitektur, Landschaftsplanung und Tragwerksplanung – ein groß angelegtes Unterfangen. Hille Bekic, Vorstandsmitglied der Architektenkammer Berlin, stellte dabei heraus, dass „Verschränkung von Themen, Verinnerlichung von Diversität und Anwendung von Beteiligungsverfahren“ Dinge sind, die Frauen schon lange praktizieren (manche Männer übrigens auch). Ausstellungen, Diskussionen, Filmvorführungen, Workshops, Vorträge tragen zur Vielfalt des Festivals bei, besonders hervorzuheben ist dabei die Ausstellung „Queens Of Structure“ zu Projekten und Positionen von Bauingenieurinnen im Architekturmuseum der TU Berlin.
Und weil Sichtbarkeit eben die große Herausforderung ist, hätte man sich für die Eröffnungsveranstaltung unbedingt einen repräsentativeren Ort gewünscht als die Forum Factory, eine kleine Eventgalerie im Gewerbekomplex in der Charlottenstraße. Umständehalber saßen ein paar wichtige Personen drinnen, der Rest campte auf Gras in einem Zelt draußen und schaute sich die Veranstaltung auf einer Leinwand an. Man hätte sie genauso gut, aber bequemer auf dem Bildschirm zu Hause mitverfolgen können. Diese Auftaktveranstaltung wurde dem großartigen Unternehmen nicht gerecht. Es braucht die Selbstfeier und den Mut zum Glamour, um das Standing der Frauen in der Architektur zu festigen und zu kommunizieren. Trotzdem: WIA ist die Devise der Zukunft und ein Synonym dafür, wie unsere Gesellschaft durch urbane Gleichberechtigung weiterentwickelt werden muss, um zu überleben.
www.wia-berlin.de, 1. Juni bis 1. Juli 2021 in Berlin
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