Lass die Welt ruhig böse bleiben

Im Volkspark Jungfernheide spielt das Gefängnistheater aufBruch „Till Eulenspiegel“. Regisseur Peter Atanassow lässt den Schelm hier gealtert umherziehen

Till Eulenspiegel (Hans-Jürgen Simon) ist ein Getriebener Foto: Thomas Aurin

Von Katja Kollmann

Wasser spritzt hoch am Jungfernheidesee. Unter den letzten Strahlen der Abendsonne wird das aufblasbare Krokodil ins Wasser befördert. Und der Mensch springt nach. Ein paar Meter weiter lädt der Kulturbiergarten endlich wieder zum gemütlichen Beisammensein unterm grünen Blätterdach ein. Davor erinnert ein historischer Wegweiser an die Gründerzeit des Charlottenburger Volksparks. Eine Bauzeichnung von 1923, als Verantwortlicher zeichnet der Charlottenburger Stadtgartendirektor Erwin Barth, zeigt die detaillierte Planung eines Freilufttheaters nach griechischem Vorbild. Daneben eine Fotografie aus den späten 20er Jahren: volle Ränge und TurnerInnen auf dem Rasen-Bühnenrund. Im Kulturbiergarten erinnert eine Büste an Gustav Böß, den Berliner Oberbürgermeister von 1921 bis 1929, der mit der Gründung der Stiftung „Park, Spiel und Sport“ viele Sport- und Parkanlagen zu finanzieren half. Nun trägt diese Freilichtbühne seit einigen Jahren seinen Namen.

Das Theater aufBruch, das seit zwanzig Jahren Inszenierungen in Justizvollzugsanstalten mit Gefängnisinsassen realisiert, geht gerne ein Mal im Jahr raus und spielt Open Air. Vor drei Jahren hatte man so die Gustav-Böß-Freilichtbühne entdeckt. Zu dem Zeitpunkt war sie schon jahrelang nicht mehr bespielt worden. Die Natur hatte sich den Kulturraum längst zurückerobert und ein Bauzaun versteckte die überwucherte Naturbühne vor den Blicken derer, die sich vom Kulturbiergarten kommend bieraufgefüllt entleeren mussten, gerade noch den Weg zum Klohäuschen fanden und direkt daneben eine Bretterwand. Letztes Jahr bespielte das Theater aufBruch die Bühne zum ersten Mal und gab Shakespeares „Sommernachtstraum“. Das passt, der spielt im Wald, so gab das zugewachsene Theater eine lebensechte Kulisse ab – gratis.

So stehen die Gaukler nun zwischen den Bauern und den Landsknechten

In diesem Jahr ist die Rodung in der Naturbühne weiter fortgeschritten, aber noch immer wirkt dieser Ort verwunschen. Denn nur ein kleiner Teil des Amphitheaters, das einst für 1.600 Menschen angelegt wurde, ist für die Zuschauenden geöffnet. So blickt man auf leere Sitzreihen, die umgeben sind von Brennnesseln und Pflanzen aller Art. Auf der obersten Sitzreihe, ganz am Rand, steht ein knallroter Galgen, an dem eine lebensgroße Puppe baumelt (Bühne: Holger Syrbe).

Und genau von dort kommen Patrick Berg und Philipp, abwechselnd als aufständische Bauern oder als Landsknechte des Burgherrn und bedrohen die Gaukler im Bühnenrund. Denn dieses Jahr gibt aufBruch den „Till Eulenspiegel“. Man stützt sich auf die 96 Schwänke aus dem 1515 verfassten Volksbuch, ein Stück von Günther Weisenborn und einen erzählerischen Entwurf von Thomas Brasch. Hans-Jürgen Simons Eulenspiegel ist ein Gehetzter, ein Getriebener. Vor allem ist er ein Gealterter, er ist müde. So kommt er zu einer Gauklertruppe, die ihn aufnimmt „als Star“, just in dem Augenblick, als das Angebot von der Burg kommt, dort zu spielen. Dieser Offerte aber folgt Druck von außen. So stehen die Gaukler nun zwischen den Bauern, die sich gegen das feudale System erheben und den Landsknechten, den Stützen der Herrschaft. Till Eulenspiegel positioniert sich, er möchte die Welt nicht verändern, sie soll so böse bleiben, wie sie ist. „Spielt um euer Leben!“, ruft er den Gauklern zu. Am Schluss kommentiert das Ensemble, bestehend aus Freigängern, Ex-Inhaftierten, SchauspielerInnen und Berliner BürgerInnen, als Brechtscher Chor die Lage: Das herrschende System hat gesiegt, da sich die aufständischen Bauern uneinig waren. Vorher findet neunzig Minuten lang pralles Volkstheater statt. Sabine Böhm hält als Pompanne, berlinernde Ex-Puffmutter, nun Gauklertruppenköchin, den ganzen Laden zusammen. Sie hat ein wunderbares Organ, das definitiv bis in die letzte Reihe dringt, schält wunderbar energisch Kartoffeln und singt dabei das Lied vom Klops. Regisseur Peter Attanasow arbeitet viel mit Situationskomik und einem rot angestrichenen Plumpsklo. Die Gauklertruppe ist erfrischend heterogen und benimmt sich auch so. Matthias Blocher läuft als einziger über zu den Rebellen und hält nun mit badischem Zungenschlag eine leidenschaftlich-revolutionäre Rede. Spielen oder handeln, sein oder nicht sein, das ist die Frage. Die Vögel zwitschern dazu, die Blätter wehen leise im Wind und von Weitem hört man das Hupen eines Autos. Es gibt Fragen, auf die gibt es einfach keine Antwort. Sie zu stellen aber ist ein Wert an sich.

Karten über: shop.gefaegnistheater.de