KI auf dem Lande

Science-Fiction aus den 1920er Jahren: Die Andere Welt Bühne Strausberg inszeniert „Robosapiens“

Von Tom Mustroph

Strausberg, die frühere Armeestadt, geprägt von Kasernen, Bunkern und militärischer Mentalität, hat ein Theater. Seit 2017 schon liegt die Andere Welt Bühne versteckt im einstigen Stadtwald. Ins Gebäude eines früheren Wasserwerks hat der einst in der Berliner Offszene bekannte Regisseur Matthias Merkle in den Coronamonaten eine zweistöckige Holzkonstruktion mit drehbarem Untersatz einbauen lassen, die auf dem Avantgardekonzept der Raumbühne des österreichischen Architekten Friedrich Kiesler basiert. Kiesler hatte vor etwa 100 Jahren eine drehbare Rundbühne, die über zwei Etagen ging und mittels Rampen zu bespielen war, entwickelt.

Ihm schwebte sogar noch mehr Dynamik vor. „Die Raumbühne des Theaters der Zeit schwebt im Raum. Der Zuschauerraum kreist in schleifenförmigen elektro-motorischen Bewegungen um einen sphärischen Bühnenkern“, schrieb Kiesler 1924 zur Internationalen Ausstellung für Theatertechnik in Wien.

Knapp 100 Jahre später ist die Raumbühne nun in den Weiten Brandenburgs angekommen. Zur Einweihung gibt es „Robosapiens“, ein Science-Fiction-Stück nach Motiven von „R.U.R.“ von Karel Capek. Das Stück stammt auch aus den 1920ern, Kiesler selbst baute 1923 auch das Bühnenbild zu einer „R.U.R.“-Inszenierung. „R.U.R.“ – ein Akronym für „Rossums Universal Robots“ – ist Name eines Unternehmens, das künstliche Menschen herstellt, keine Golems in der Tradition des Prager Rabbiners Löw, sondern industriell gefertigte künstliche Intelligenzen. Capek führt für diese Gestalten erstmals den Begriff „Roboter“ ein – abgeleitet von „robota“ (Zwangsarbeit).

Klingt „künstliche Intelligenz“ noch positiv, irgendwie erweiternd, wenngleich verbunden mit der Gefahr des Überbietens durch effektivere Intelligenz, so weist die Zwangsarbeitskonnotation auf die pure Dienerfunktion hin. Capek nimmt in seinem Stück ein ganzes Genre von Hollywood-Blockbustern vorweg: Natürlich rebellieren die künstlichen Menschen irgendwann und vernichten die originäre Menschheit; sie haben allerdings auch so manche menschliche Umgangsformen angenommen. Durch den Kopf schwirren die Filmtitel, in deren Abspann eigentlich „geklaut von Capek“ stehen müsste.

Die aktuelle Inszenierung von Jens Bluhm lotet vor allem die Zwischenwelten aus. Bei den vier Gestalten auf der Bühne in ihren technisch-abstrakten Overalls, die mal an Raumfahrer*innen, mal aber auch an Des­in­fek­ti­ons­ar­bei­te­r*in­nen der frühen Pandemiephase erinnern, bleibt unklar, ob sie noch den Menschen angehören oder doch schon künstlich sind. Eine Figur behauptet zwar, sie hätte das Auge der anderen entwickelt. Ob sie selbst aber Mensch ist oder lediglich einer früheren Generation der Roboterpopulation angehört, ist ungewiss.

In dieser Ambiguität liegt der Reiz des Abends. Wer spricht da, und aus welcher Perspektive? Identität wird gleich mit dem ersten Wort infrage gestellt. „Ich“, sagt Chris Eckert als eine dieser postbiologischen Gestalten und lässt eine lange Pause folgen. Wer ist „Ich“? Was macht ein „Ich“ aus? Was ist Bewusstsein? Und wie ließe es sich messen und beweisen?

„Robosapiens“ erkundet das weite Feld zwischen künstlichen und natürlichen Menschen, zwischen Fertigung und Spontanwachstum. Auf der darstellerischen Ebene führt dies leider zu teils arg roboterhafter Gestik. Aber das Thema ist gut, die Raumbühne hochinteressant und das ganze Gelände die Anfahrt wert. Sympathisch auch, dass nach dem Premierenapplaus die selbst auf der Bühne stehenden Theaterleiterinnen Melanie Seeland und Ines Burdow nicht irgendwelchen Sponsoren dankten, sondern den auch im Publikum anwesenden Handwerkern und Ingenieuren für deren Arbeit beim Bühnenbau. Das ist Tatkraft auf dem Lande, von echten Menschen mit natürlichen Intelligenzen.

Nächste Vorstellung heute, 19.30 Uhr, wasserwerk-theater.com