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Dem Kino verfallen

Von heute an würdigt die Retrospektive „The Return of the Boogeyman“ im Zeughauskino das Werk des unterschätzten Regisseurs Ulli Lommel (1944–2017) mit 16 Filmen

Kurt Raab in „Zärtlichkeit der Wölfe“ Foto: Fassbinder Foundation

Von Frank Arnold

„Schlafen kann ich, wenn ich tot bin“ – diese Maxime, die einst Rainer Werner Fassbinder äußerte, hatte auch für Ulli Lommel seine Berechtigung, der die männliche Hauptrolle in Fassbinders Spielfilmdebüt „Liebe ist kälter als der Tod“ verkörperte und in vielen weiteren von dessen Filmen auftrat. Weniger bekannt ist sein Schaffen als Regisseur: Zwischen 1971 und 2017 hat er über 60 Filme gemacht, darunter innerhalb von vier Jahren siebzehn über legendäre Serienkiller für den Heimkinomarkt.

In der Internet Movie Database finden sich sogar für die Jahre nach seinem Tod 2017 noch ein halbes Dutzend Titel in verschiedenen Fertigstellungsstadien. Nicht totzukriegen, genauso wenig wie der „Boogeyman“, gedreht 1979 für 250.000 Euro, der dann weltweit 29 Millionen einspielte.

„Boogeyman“ war einerseits ein „Slasher“ in der Tradition von John Carpenters „Halloween“, der einige Zeit zuvor herausgekommen war – die aus subjektiver Perspektive gefilmte Nahaufnahme der erhobenen Hand mit dem Küchenmesser wirkt wie ein Zitat, das Gleiche gilt auch für das musikalische Thema. Die in diesem Film immer wieder zerschlagenen Spiegel kann man aber auch als Hommage an Fassbinders Spiegelobsession oder als einen Versuch der Befreiung vom „Meister“ lesen. Das Motiv der prägenden Kindheitserfahrungen findet sich auch in den Serialkillerfilmen, ebenso Fassbinders zentrale Themen, das unterdrückte Begehren und der Wunsch, geliebt zu werden, ausgeprägt schon in „Die Zärtlichkeit der Wölfe“ (1973), gedreht mit Mitgliedern der Fassbinder-Truppe.

Zu „Boogeyman“ gehört allerdings auch die Chuzpe, mit der Lommel 1982 „Boogeyman 2“ machte: Er willigte erst ein, als ihm vollkommene Freiheit zugesichert wurde. Und lieferte einen Film ab, der sich großzügig bediente bei Szenen aus seinem Vorgänger. Er habe mit den meisten Schauspielern einen Deal gemacht, dass er ihre Szenen in späteren eigenen Filmen wiederverwerten dürfe, erzählt er im Audiokommentar. Am Ende der 2002 erstellten „Redux“-Fassung, die praktisch den kompletten ersten „Boogeyman“ zusammenfügt mit Aufnahmen, in denen Lommel selber davon spricht, warum er als Regisseur keinen Horrorfilm drehen will, sieht man ihn in einem home movie am Pool seines Hauses in Kenneth Angers Skandalchronik „Hollywood Babylon“ blättern.

Langwierige Verhandlungen mit Geldgebern waren nicht seine Sache, lieber drehte er Filme mit kleinem Team und niedrigem Budget. Die weibliche Hauptrolle in „Boogeyman“ verkörperte Susanna Love, seine damalige Ehefrau, deren Bruder und Mutter im Film ebenfalls vor der Kamera standen. 1994 folgte „The Return of the Boogeyman“, dann verkaufte er die Rechte an ein großes Studio, das ein Remake und mehrere Fortsetzungen produzierte.

Eine Splatterszene, bei der in einem Auto ein junges Paar zu Tode kommt, stuft er zu Recht als „grand guignol“ an, als totale Übersteigerung, die man nicht ernst nehmen könne. ­Andererseits kann er auch ­einen berechtigten Stolz nicht verhehlen, wenn er berichtet, wie ihm diese Szene spontan einfiel und wie er sie umsetzte, mittels ganz simpler, aber letztlich doch ­genialer Tricks, mit denen er filmische Magie herstellte.

Lommels spätere Filme, in denen er meist selber mitwirkt, oft in der Rolle eines Zeremonienmeisters oder Mentors, haben in ihren Beschränkungen etwas Home-Movie-Artiges. Da liegt auch die Verbindung zu Andy Warhol, in dessen „Factory“-Umfeld er 1979/80 seine ersten beiden Filme in den USA drehte: gewagte Mischungen zwischen Dokumentarischem und Fiktion (der Punkmusiker Richard Hell trifft auf die Schauspielerin Carole Bouquet in „Blank Generation“). Sie sind leider ebenso wenig im Programm vertreten wie sein Testament „America – Land of the Freeks“, 2018 posthum bei der Berlinale erstaufgeführt.

Lommel hatte keine Berührungsängste. Er drehte mit Mitgliedern der Fassbinder-Truppe ebenso wie mit Curd Jürgens und Daniel Küblböck, aber auch mit Godards erster Ehefrau und Muse Anna Karina, mit der ihn eine mehrjährige Beziehung, aber leider nur ein einziger Film unter seiner Regie verband.

Anders als Fassbinder machte Lommel stets einen gelassenen Eindruck, zu dem auch eine bedächtige Sprechweise beitrug. Exzentrisch wirkte nur sein Outfit in späteren Jahren: spitze Cowboyboots, oft auch ein Cowboyhut (wie er heute seinen Grabstein ziert). Im Gespräch wie in seinen autobiografischen Büchern oder auch in den zahlreichen Audiokommentaren, die er für seine Filme eingesprochen hat, verbinden sich Enthusiasmus und Lakonie aufs Schönste. Ob all die – manchmal fantastisch klingenden – Begegnungen mit Prominenten wie William S. Burroughs oder Orson Welles sich so zugetragen haben, ist eine andere Frage.

„The Return of the Boogeyman. Filme von Ulli Lommel“, Zeughauskino, bis 14. Juli; sein Frühwerk „Wachtmeister Rahn“ kann auf der Website des Kinos noch bis 2. Juli kostenlos gestreamt werden

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